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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens
Autoren: Rachel Simon
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Verfassung ist auf meiner Seite, wenn ich sage, dass ich das Recht habe zu erfahren, warum Sie Scheinwerfer auf mein Fenster richten.«
    »Zwei Menschen werden vermisst, und wir fürchten um ihre Sicherheit.«
    »Um deren Sicherheit?«
    »Ja.«
    »Womöglich habe ich das missverstanden. Ich dachte, Sie würden sich um meine Sicherheit sorgen.«
    »Hören Sie, wir wollen Ihre Haustür nicht aufbrechen. Wenn Sie einfach …«
    »Und woher kommen diese Leute, die ein Risiko für sich selbst darstellen und vermisst werden?«
    »Von einer Schule.«
    »Bis auf an der Highschool habe ich an allen Schulen von Well’s Bottom unterrichtet. Seit wann schickt die Highschool die Polizei zur Verfolgung von Schulschwänzern los – und noch dazu um diese Tageszeit?«
    Schweigen. Etwas regte sich. Durch das Fenster konnte die Witwe Gestalten ausmachen, die um die Veranda zur Hintertür huschten.
    »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt«, sagte sie. »Um welche Schule handelt es sich?«
    »Die Anstaltsschule, Mrs. Zimmer.«
    Die Worte trafen sie wie ein kalter Windstoß. Natürlich! Sie hatte es von Anfang an gewusst. Das erkannte sie jetzt – der Name stand in Blockbuchstaben auf den Wolldecken, die jetzt zum Trocknen über dem Verandageländer hingen und vom Scheinwerferlicht angestrahlt wurden. pennsylvania state school – eine Anstalt für schwer Erziehbare und geistig Behinderte.
    Sie drehte sich um. Das Pärchen stand nicht mehr da. Doch ehe sie nach ihnen suchen konnte, flog die Haustür beinahe zeitgleich mit der Hintertür auf. Polizisten – zwei kannte sie aus Well’s Bottom, die vier anderen hatte sie noch nie gesehen – und ein langer Kerl in weißem Krankenhauskittel, offenbar ein Wärter, stürmten das Haus. Er musste ein Angestellter der State School sein, den Gebäuden hinter den hohen Mauern, an denen ihr Mann nie mehr vorbeigefahren war, nachdem ihr Baby – ihr behinderter Sohn – auf die Welt gekommen und gestorben war.
    Um sie herum herrschte Hektik; die Männer schwärmten in alle Räume aus, ohne sich um ihre Privatsphäre zu scheren oder auf ihre Bitte »Benehmen Sie sich zivilisiert!« zu reagieren. Sie durchstöberten den Schrank unter der Treppe, das Wohn- und das Esszimmer. Als sie die Kellertreppe hinunterliefen, spähte die Witwe durch die Tür ins Freie. Die grellen Scheinwerfer beleuchteten die Hälfte der abschüssigen Weide, aber sie entdeckte keine Fliehenden. Nur drei Polizeiautos und eine Limousine, aus der ein Mann stieg. Er trug einen gestutzten Schnauzbart und einen eleganten Regenmantel: sein graues Haar war in der Mitte gescheitelt. Er spannte seinen Regenschirm auf und kam die Einfahrt herauf.
    »Ich hab das Mädchen«, rief ein Mann aus der Küche.
    »Wo ist der Junge?«, wollte ein anderer wissen.
    »Nicht im Erdgeschoss.«
    »Versuch’s oben.«
    Schritte ertönten auf der Treppe, als der Mann im Regenmantel das Haus erreichte.
    »Ich bin Dr. Collins«, stellte er sich in leisem, ruhigem Ton vor – gerade so, wie man es von einem Doktor erwartete. »Ich muss mich für diese Störung Ihrer Abendruhe entschuldigen.« Er streckte die Hand aus.
    Die Witwe schüttelte sie, während sie oben eilige Schritte und das Knarren von Schranktüren hörte. Sie spürte eine Bewegung in ihrem Rücken und drehte sich um. Die junge Mutter wurde aus der Küche eskortiert. Ihr Begleiter war der lange dünne Wärter, ein kahler Mann mit Ziegenbärtchen und Nickelbrille. Das Mädchen wirkte so niedergeschlagen und verängstigt wie bei seiner Ankunft.
    »Worum geht es überhaupt?« Martha ließ die Hand des Doktors los.
    »Jetzt, da wir sie gefunden haben, brauchen Sie sich nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen«, erwiderte der Doktor.
    »Haben die beiden etwas angestellt?«
    »Sie kennen die Regeln. Unerwünschtes Verlassen stört die Ordnung in unserer Einrichtung.«
    Martha wandte sich an die junge Frau. Der Wärter holte etwas aus der großen Tasche seines Kittels und beförderte eine Art Jacke mit extra langen Ärmeln zutage.
    »Was ist das?«, wollte Martha wissen.
    Dr. Collins antwortete: »Diese Jacke ist zu ihrem eigenen Besten.«
    Der Wärter steckte die Arme der Frau in die Ärmel, kreuzte sie über der Brust und zog die langen Ärmel auf ihren Rücken.
    Die junge Mutter warf Martha einen Blick zu. In ihren Augen loderte Wut. Aber sie leistete keinen Widerstand, nicht einmal, als der Wärter die Ärmel hinter ihrem Rücken fest zusammenband.
    Martha schreckte zurück. Dem Wärter entging
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