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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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ich das auch.«
    Es könne schon sein, »dass diese Eltern es nicht besser wussten«, vermutete Arne Hofmann, einer der renommiertesten deutschenTraumatherapeuten, im Interview. Aber verstecken dürften Eltern sich nicht hinter diesem Argument. Für Fehler, die man mache, müsse man ein Stück Verantwortung übernehmen. Doch mit dem Wort »Entschuldigung«, mit Reue und Bedauern tut sich die Generation der damaligen Eltern seiner Erfahrung nach schwer. Vor allem die Männer bringen eine Bitte um Vergebung, selbst den eigenen Kindern gegenüber, kaum über die Lippen. Hofmann geht allerdings davon aus, dass »das meiste oder vieles von dem, was geschehen ist, nicht böswillig geschah.« Er bucht es eher unter die Kategorie »tragisch« ab. Denn die wenigsten Eltern waren seiner Einschätzung nach »richtige Sadisten, die emotional ausbeutend mit Lustgewinn geprügelt haben. Diese Eltern glaubten wirklich, dass das, was sie da tun, richtig ist.«
    Mir schien, als ich meine Recherchen zu diesem Buch beendete, dass ein Großteil der damaligen Kinder ähnlich brachial erzogen worden sind wie Sonja oder Detlev. Und dass diejenigen, die nicht selbst den Rohrstock oder den Kochlöffel zu spüren bekamen, Ausnahmen waren. Sie hatten einfach Glück gehabt. Wie es eine Freundin kürzlich ausdrückte: »Wenn Prügeln wirklich so häufig vorkam, muss ich meine Eltern ja noch mal unter einem ganz neuen Blickwinkel betrachten. Sie haben mich nicht ein einziges Mal vertrimmt, mir nie eine Ohrfeige verpasst. Ich wusste bis heute nicht, dass das etwas so Besonderes war.«
    Gewaltlose Erziehung war die Ausnahme
    Nach einer meiner Rundfunksendungen zu diesem Thema bekam ich einen Hörerbrief von einem Paar, das in den 50er und 60er Jahren vier Kinder großgezogen hatte. »Mein Mann und ich«, hieß es darin, »sind entsetzt! In unserer Familie und auch in Familien unserer Bekanntschaft und Freundschaft hat es solche Erziehungsmethoden nicht gegeben. Wir fühlen uns persönlich beleidigt«, und zwar darüber, »dass Sie eine solche Sendung ausstrahlenund damit Eltern dieser Zeit diskriminieren und infam pauschalieren. Wir sind wütend und das sollten Sie wissen.« Ich habe auf diesen Brief sehr zwiespältig reagiert. Einerseits war ich froh, dass es auch ein solches Milieu gab, in dem Kinder damals eben nicht geprügelt wurden. Andererseits wunderte es mich schon, dass die Briefeschreiber offenbar so gar nicht mitbekommen hatten, was zu der Zeit in vielen Familien übliche Praxis war.
    Ein Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger aus dem Jahr 1968 unterstrich meinen Eindruck. »Westdeutschlands Eltern werden angeklagt von ihren eigenen Kindern«, hieß es dort. Anlass zu der Veröffentlichung war eine Umfrage der Aktion Jugendschutz, die 1.780 Jugendliche gebeten hatte, einen Aufsatz zu dem Thema zu schreiben: »Wenn ich mein Vater/meine Mutter wäre […]«. Das Ergebnis war niederschmetternd, was die Jugendlichen schrieben, alarmierend. Denn herausgekommen war, so die Aktion Jugendschutz: »[…] dass wir zu einem großen Teil ein Volk prügelnder Eltern sind«. 3
    »Das Faktum ist bekannt und wird seit Jahren angeprangert«, kommentierte der Kölner Stadt-Anzeiger damals. »Doch was bewirken die Warnungen und Proteste? Sie bewirken nichts. Im Klima der Grausamkeit wachsen in Westdeutschland natürlich nicht alle, aber noch immer viel zu viele Kinder auf. Und sie halten schließlich das Prügeln für so selbstverständlich, dass auch sie zuschlagen wollen, wenn sie einmal Kinder haben. Deutschland ein Land – so möchte man meinen – wo Aggressionen kultiviert werden und nicht Vernunft, Rache weit eher denn Liebe. Ob in Villen oder Wohnblocks, in Nissenhütten oder Reihenhäusern: Bis heute halten 85 Prozent aller westdeutschen Eltern die Prügelstrafe für eine angemessene Erziehungsmethode. Nur zwei Prozent aller Eltern schlagen ihre Kinder nie. Da spuckt der Sohn in hohem Bogen, weil ihm der Spinat nicht schmeckt. Eine Maulschelle soll ihn prompt zur Räson bringen. Da lungern die Töchter vor ihren Heften herum, weil ihnen zum Thema »Mein schönstes Erlebnis« partout nichts einfallen will; ein paar Backpfeifensollen ihre Phantasie beflügeln. Da quengeln die Kleinen, weil die lange Autofahrt sie ermüdet; mit einer Abreibung werden sie schnell zum Schweigen gebracht.«
    Monika hat zwei Mütter – eine gute und eine böse
    Monika hatte als Kind immer die Vorstellung zwei Mütter zu haben. So jedenfalls die Fantasie der heute
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