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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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tristen Arbeitermilieu, aber auch, weil er seine Chance sah, doch noch etwas Besseres zu werden. »Und so wurde er dann zu einem praktizierenden Nazi.«
    Die Konsequenz der Eltern aus ihrer unterschiedlichen Familienbiografie war: Beide hatten große Angst aufzufallen, aus dem Mainstream auszuscheren, nicht dazuzugehören. Der Vater hatte während des sogenannten »Dritten Reichs« – die Mutter erst danach – gelernt, dass es besser ist, sich bedeckt zu halten. »Eins hatten beide Großväter gemeinsam: Sie haben ihre Frauen geprügelt. Und ihre Kinder, also meine Eltern, natürlich auch.«
    Zunächst lebten Monikas Eltern in einer Zechenwohnung im Ruhrgebiet, gemeinsam mit den Großeltern. Später zogen sie aus, wohnten aber weiterhin zur Untermiete. Erst in den späten 50er Jahren, als der Wohnungsbau boomte, bekamen sie in einer für Arbeiter erstellten Siedlung eine kleine Wohnung. Für ein eigenesHäuschen verdiente der Vater zu wenig, auch wenn er zwei, manchmal drei Jobs annahm, um die Familie zu ernähren. »Er hat sowohl Schichtarbeit gemacht, als auch bei einem Umzugsunternehmen gearbeitet. Und dann noch Nebenjobs als Schlosser angenommen, in seinem erlernten Beruf.« Ihre Mutter beschwerte sich oft darüber, dass der Vater so gut wie nie zu Hause sei. Sie fühlte sich einsam, versuchte sich durch regelmäßige Besuche in einer Nähstube oder durch die Teilnahme an Hausfrauennachmittagen abzulenken.
    Ihre Eltern achteten sehr darauf, dass die Tochter gut gekleidet war, diesbezüglich mit anderen konkurrieren konnte, dass sie frühzeitig ein Fahrrad bekam. Was den Konsum anbelangte, da konnte Monika durchaus mit bessergestellten Kindern mithalten. Doch was die Stimmung zu Hause anging, da fehlte es an allen Ecken und Enden. Die Mutter war nett und freundlich, wenn sie gut gelaunt war. Dann lachte sie auch schon mal. Was sie jetzt, als alte Frau, häufiger tut und sich zum Erstaunen der Tochter als eine »unheimlich humorvolle Frau« entpuppt. Man kann sich, sagt Monika, »über die schippelig lachen«. Was früher einfach zu selten vorkam.
    Kaltes Wasser auf toupierte Haare
    Verstanden fühlte sich Monika nie von dieser Mutter. Selbst in ihren guten Phasen, wenn sie die nette Mutter zu sein schien, war ihr diese Tochter offenbar immer zu viel. »Also ich weiß noch, wenn ich aus der Schule kam und ihr was erzählen wollte, reagierte sie mit aaahhh, hör auf, du redest zu viel. Sie hat mich einfach nicht verstanden, überhaupt nicht.«
    Die Reaktion der Mutter auf die Tochter war entsprechend handfest. Monika war aufmüpfig, das bestreitet sie gar nicht. Manches, was sie als Kind tat, kann sie sich im Nachhinein auch nicht mehr erklären. So, als sie sich eines Tages, die Mutter wischte gerade den Flur, einfach mit all ihren Anziehsachen in den Putzeimersetzte. »So dass ich eine völlig nasse Hose bekam. Dafür wurde ich dann geprügelt.« Oder als sie auf die jüngere Cousine eifersüchtig reagierte, die immer die Engelsgleiche, Sanfte war, und mit der sie viel Zeit verbrachte. »Da wurde ich manchmal richtig fies. Ich hab ihr zum Beispiel ein Beinchen gestellt, weil ich so eine Wut auf sie hatte. Danach habe ich von mir gedacht, nun weiß ich es genau, ich bin einfach ein böses Kind.«
    Später, als sie in die Pubertät kam, wurde die Sache noch schwieriger. Einmal durfte sie zum Friseur gehen. »Der hatte, wie das damals so war, mir die Haare furchtbar hoch toupiert. Mir war das zwar schrecklich peinlich, aber ich habe mich nicht getraut zu sagen, ich möchte das so nicht. Irgendwie fand ich das auch lustig.« Nur ihre Mutter nicht, die reagierte sauer, als sie ihr Kind mit dieser aufgemotzten Frisur sah, packte die Tochter und hielt sie unter den kalten Wasserhahn. »Sie hat mir das Wasser regelrecht über den Kopf laufen lassen.« Während die Mutter sie anschließend verhaute, hielt Monika »einfach nur die Hände über den Kopf«, machte sich so klein wie möglich, damit es sie nicht so heftig traf. Sie kann sich nicht erinnern, womit sie bei der Gelegenheit geschlagen wurde, ob wie üblich mit dem nassen Aufnehmer oder wie so oft mit einem Handfeger.
    Monika war, trotz der brutalen Schläge, nie zornig auf die Mutter. »Das versteh ich überhaupt nicht. Also ich habe nie in der Situation Wut gehabt, sondern ich hatte immer nur dieses unglaublich hilflose Gefühl.« Ihr war schon klar, dass die Wutausbrüche der Mutter wenig mit ihrem eigenen Verhalten zu tun hatten, mehr mit der Mutter selbst,
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