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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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mit deren Frust und deren allgemeiner Unzufriedenheit.
    Ein stillschweigendes Übereinkommen
    Bis heute weiß Monika eigentlich nicht so recht, warum sie über das Verhalten ihrer Mutter andern gegenüber so eisern schwieg. »Ich habe eine Freundin gehabt, der es ähnlich ging wie mir. Wirhaben schon darüber geredet, aber sehr verhalten.« Monika war nicht die einzige, die über ihre Familienverhältnisse nichts nach außen dringen ließ. Wer spricht schon gerne darüber, dass bei ihm zuhause nicht alles so läuft, wie man es gerne gehabt hätte? Wer würde einfach so herumerzählen, dass sein Vater, der auf seine Freunde einen so sympathischen Eindruck macht, auch eine andere, eine dunkle, eine äußerst gewalttätige Seite hat? Wer stellt schon gerne die Mutter als eine aufbrausende, schlagkräftige Person bloß?
    Die österreichische Schriftstellerin Anna Mitgutsch hat in ihrem Buch »Die Züchtigung« sehr genau den Grund für dieses flächendeckende Verschweigen beschrieben, dieses Unbehagen im Umgang mit dem Gewaltthema bei sich daheim. Danach war das erste Gebot, dass nichts, was zuhause vor sich ging, nach außen dringen durfte. »Die Fassade musste lückenlos bleiben. Wir waren eine anständige Familie, in der nur Harmonie herrschte.« Wann immer die Protagonistin ihres Buches sich vor angedrohten Schlägen aus dem Haus flüchtete, »bei Fremden, die nichtsahnend den Berg heraufkamen, Zuflucht suchte«, konnte sie sich anschließend auf eine heftige Tracht Prügel gefasst machen. »Und wer glaubt denn schon einer heulenden Sechsjährigen, die einem den Weg versperrt, den gemütlichen Spaziergang ins Grüne an einem stillen Sonntagnachmittag, wenn sie schreit, Hilfe, bitte helfen Sie mir, die Mama haut mich, wer will sich denn schon einmischen, bloß weil eine kleine, freche Göre ihrer wohlverdienten Züchtigung entgehen will? Na, na, sagte der freundliche Herr mit dem Spazierstock begütigend, wird schon nicht so schlimm sein, wir sind doch alle hie und da übers Knie gelegt worden und sind auch anständige Menschen geworden und hat uns kein bisschen geschadet.« 4
    Wer hat eigentlich ihre Schreie damals gehört, fragt sich Anna Mitgutschs Protagonistin, wenn an schönen Sommertagen alle Fenster offenstanden und nur die bei ihr zu Hause sorgfältig verschlossen blieben. Ihr Klavierspiel haben die Nachbarn sehr wohlmitbekommen, »und mein Gebrüll, das nichts mehr mit Kindergeschrei zu tun haben konnte, hätten sie nicht gehört? Meine Mutter hat mich nämlich geschlagen, sagte ich später, wenn Verwandte und Nachbarn die Lobreden der tüchtigen Hausfrau und guten Mutter anstimmten, aber sie warfen mir beschwörende Blicke zu und gingen verlegen zu andern Themen über. Schmutzwäsche versteckt man vor Fremden, ich habe an ein Tabu gerührt, wir sind eine Nation geschlagener Kinder.«
    »Die Scham verschließt den Mund«, glaubt auch der Schriftsteller Tilman Röhrig. »Man schämt sich für das, was passiert ist. Weil man sich so sehr ein gutes, ein liebevolles Elternhaus wünscht«, sagt er im Gespräch mit mir. »Eines, in dem die Eltern weise und freundlich in bequemen Sesseln sitzen. Eltern, die man Besuchern gerne vorstellt: das ist mein alter Herr, dort die alte Dame ist meine Mutter.«
    Doch weder bei Tilman Röhrig noch bei Monika war das der Fall. Deshalb schwiegen beide lieber, wie so viele ihrer Generation, die die Ausraster der Eltern, die erlebte Gewalt nicht öffentlich machten. Warum groß darüber lamentieren? Es gab so etwas wie eine Art stillschweigendes Übereinkommen, über die Gewalt in der Familie lieber den Mund zu halten.
    Monika hat sich nur ihrem Lieblingslehrer anvertraut. Da war sie schon sechzehn Jahre alt. Ist zu ihm regelrecht hin geflüchtet vor den Schlägen der Mutter. Der hat ihr zwar zugehört, aber schützen konnte er sie auch nicht. So dass sie immer dachte: »Ich muss das halt alleine hinkriegen. Und das war auch so«.
    Später dann, als Monika längst in diversen Wohngemeinschaften lebte, hat sie die Erziehungsmethoden ihrer Mutter bei Gelegenheit vorsichtig angedeutet. Doch ihre Mitbewohner kamen meist aus der Mittel- oder der Oberschicht. Als Arbeiterkind hatte sie in diesem Kreis sowieso eine Sonderstellung. Wenn sie dann auch noch versuchte, ihre Kindheitserfahrungen anzusprechen, distanzierten sich die anderen, behaupteten, so etwas nie erlebt zu haben. »Wobei ich hinterher von einem ganz engen Freund,Sohn aus einer Arztfamilie, erfahren habe, dass er und seine
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