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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt
Autoren: Nick Harkaway
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wieder.
    Baptiste Vasille zuckt mit den Achseln. Ein sehr französisches Achselzucken, das so viel heißt wie: »Tja, was habt ihr erwartet?« Und im Grunde sei die Welt vor allem englisch und daher ein wenig verschroben und albern.
    »Kontrollzentrum«, sagt Vasille.
    Ja, natürlich. Auf der Karte gibt es ein zweites Gebäude, das diesem ähnelt, und dort ist ein Kontrollraum eingerichtet, der alle Bestandteile dieser Anlage und die starken Schutzvorrichtungen des Managements steuert. Der Bergfried innerhalb der Festung. Pistills Akte besagt, das Lagerhaus sei leer, weil es nicht genügend Spender gebe (diesen Begriff benutzt er für seine Opfer; sehr klinisch, und es klingt nach Freiwilligen).
    In zehn Minuten wird Jim Hepsobah den Generator endgültig abschalten und alle Leute zurückrufen. Sally Culpepper wird ihr langläufiges Gewehr weglegen und die Jagd auf Pistill einstellen. Und wir werden wegrennen und uns verstecken und so tun, als hätten wir den ganzen vergangenen Abend in einer Bar gesoffen. Da waren noch diese beiden komischen Kerle, und überhaupt, die anderen haben angefangen. Vasille und Tommy Lapland grinsen. Es ist unmöglich. Wir haben es schon einmal gemacht. Wie in alten Zeiten. Wir fangen an.
     
    Der böse Elf der Katastrophe hockt auf meiner Schulter, als wir die großen Türen erreichen. Er schreit mir ins Ohr, als wir hindurchtreten. Zu leicht, zu schnell, zu einladend. Ich denke an Professor Dereks architektonische Fallen im alten Projekt Albumen und frage mich, ob wir gleich gefroren oder geschmolzen, eingedampft und zerstückelt werden. Drinnen ist es dunkel und still. Keine Stille wie in einem leeren Raum. Nicht annähernd so. Eher schon eine erwartungsvolle Stille wie vor dem großen Auftritt.
    Die Lampen flammen auf.
    Und auf einmal steht direkt vor mir, was die ganze Zeit über nicht stimmte.
    Ninjas.
    Die ganze Zeit nämlich habe ich keinen einzigen Ninja gesehen. Jetzt weiß ich, warum: Sie waren alle hier und haben gewartet. Reihe auf Reihe. Mir war nie klar, dass es so viele sein könnten. Vor ihnen steht Humbert Pistill in Freizeithosen und weißem Hemd, von Kopf bis Fuß ein Gentleman. Und natürlich, neben ihm steht Gonzo. Stolz und dumm, und erst jetzt dämmert ihm, dass hier etwas im Argen liegt. Erst jetzt, als zwei weitere Ninjas Zaher Bey bringen und hinter uns die Flüchtlinge aus Templeton hereingescheucht werden, traurig, verängstigt und völlig desorientiert, da ihnen im letzten Augenblick doch noch die Rettung versagt wurde. Ein idiotischer Plan. Ich bin ein Idiot. Alles meine Schuld. Es ist auch Gonzos Schuld, aber er hat noch nicht ganz den Anschluss gefunden, also trage ich die Bürde vorübergehend allein. Er wendet sich an Humbert Pistill und führt eine kurze Unterhaltung mit ihm, die ich nicht verstehe, die aber ungefähr folgendermaßen ablaufen dürfte:
     
    GONZO : Was machen die denn alle hier?
    HUMBERT : Unter anderem wollen die Sie retten. Ist das nicht reizend?
    GONZO (heldenhaft): Das verstehe ich nicht. Ich bin ein starker Mann und ein tapferer Krieger, habe aber nur wenig Hirn. Lange Wörter verwirren mich.
    HUMBERT : Idiot.
    GONZO : Lassen Sie meine Freunde frei, und wir reden nicht mehr davon.
    HUMBERT : Nein. Sehen Sie, Sie verstehen es nicht, was? Ich bin nämlich … böse! Ja! Böööööse! Huah-huah!
     
    Gonzos Miene spricht Bände. Wäre die Situation nicht so ernst, ich würde es knipsen und einrahmen. Ich will nicken, ja, Gonzo. Er ist ein Monster. Ja, er hat dich verraten. Ja, all das und noch viel Schlimmeres – alle andern haben es schon längst kommen sehen. Dann aber macht Humbert Pistill eine Geste, und sie bringen Leah herein. Sie scheint unverletzt und nicht bedrückt, ist aber sehr wütend. Also ein Trick. Leah wurde mit einem Trick hergelockt. Gonzo braucht dich, du musst sofort kommen! Ma und der alte Lubitsch sind noch zu Hause. Aufgespart für den Fall, dass der Druck verstärkt werden muss.
    Wäre ich noch in Gonzos Kopf, diese Taktik würde wundervoll funktionieren. Ich würde zweifeln und zaudern, und die Gelegenheit wäre dahin. Aber Gonzo Lubitsch in seiner reinen Form lässt sich auf ein Patt nicht ein. Er wechselt vom Schreck sofort zum Angriff, und zwar so schnell, dass sogar Pistill überrascht ist. Gonzo bearbeitet ihn schnell und hart mit seinen Fäusten und hält keinen Augenblick inne. Ellenbogen, Knie, Knie, Knie … ein wuchtiger, unablässiger Angriff. Pistill keucht. Gonzo schlägt wieder und wieder zu.
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