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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt
Autoren: Nick Harkaway
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hinten, durch den Notausgang hinaus. Draußen erkenne ich, dass immer noch Feuerwerk explodiert. Ein Blick auf die Uhr: noch zwölf Minuten. Schön. Wir müssen in Bewegung bleiben. Das Feuer am Tor ist gelöscht, die Gänse machen weniger Lärm. Die Enten sind offenbar weggelaufen oder tot. Samuel P. zerrt den Bey fort – er soll jetzt fliehen, ein Ziel haben wir erreicht. Der Bey erhebt kaum Einwände. Dies ist nicht seine Show, sondern unsere, und er hat nicht den Überblick. Gut. Einer weniger, über den wir uns Sorgen machen müssen.
    Wir treten die Tür des Erzeugungsraums 1 ein und bleiben wie angewurzelt stehen.
    Dies ist das Haus, das Humbert gebaut hat. Ein riesiger Raum voller regelmäßiger dunkler Umrisse. Es sind Isolationsröhren, spezielle Lebenserhaltungssysteme für jeweils einen Menschen, den Humbert Pistill auf dem Rad des Schicksals geopfert hat. Als ich genauer hinschaue, erkenne ich vier Reihen mit jeweils fünf Einheiten, die von den anderen abgesetzt sind. Dann sehe ich noch genauer hin. Die etwas weiter entfernten dunklen Schatten sind weitere Gruppen, die der ersten entsprechen. Schläuche und Pumpen, Anzeigen und Knöpfe. Hier speisen die Menschen die Maschine. Im großen Polypenstaat Jorgmunds bilden sie den Gasbeutel, der dem Ganzen Auftrieb gibt. Es sind die Verschwundenen, die hier in Kisten stecken. Dies ist das Opfer, das die Welt so erhält, wie wir sie gern hätten, und es uns erlaubt, die Veränderungen zu ignorieren, die wir selbst herbeigeführt haben. Es ist, als würde man eine Jungfrau an einen Felsen ketten. Der Drache holt sie und zieht von dannen, und was ist schon hin und wieder eine Jungfrau im Vergleich zu einem ganzen Volk? Nichts. Eine schwarze Kiste mit Kontrollleuchten, ein langsam surrender Ventilator versorgt diejenigen, die nicht mehr selbst atmen können. Pfff … gaahhh … pfff … gaahh. Sonst ist es still.
    Dies ist nicht das, was wir gesucht haben. Wir müssen weiter. Noch sechs Minuten bis zur vollen Stunde. Wir gehen los. Pfff … gaahhh. Hin und wieder ein leichtes Zittern, wenn einer der Träumer tritt und sich schüttelt – autonome Reaktionen, die alten Muskeln verkrampfen sich. Vielleicht ein Herzanfall. Keiner von ihnen nimmt die Welt wahr. Keiner von ihnen kennt irgendetwas anderes als die grauen Innenwände seines Sargs. Ein großer Schlauch führt das Zeug aus einem Teich, einem See oder einem Reservoir zu ihnen. Das Zeug fließt an ihnen vorbei und verwandelt sich in FOX, und Royce Allens Kunden führen ein angenehmes Leben. Das tun wir alle. Die meisten dieser Leute werden innerhalb der nächsten sechs Wochen sterben. Die Übrigen werden bis zu einem Jahr weitermachen, bis sie eines Tages einfach ausgelaugt sind. Dann wird Humbert sie wegwerfen wie ein verschlissenes Getriebe.
    »Geh nicht zu nah ran«, murmelt Elisabeth. »Da ist immer noch Zeug drin.« Wenn wir zu nahe kommen, könnten wir den Prozess stören und irgendetwas anderes herstellen, das kein FOX ist. Es könnte gut sein, allerdings auch schlecht, gehört aber auf jeden Fall nicht zum Plan. Also lassen wir es in Ruhe. Trotzdem müssen wir etwas für diese Leute tun. Irgendetwas. Wenn wir können. Werde ich etwas erschaffen, das mir zeigt, was mich die ganze Zeit beschäftigt, wenn ich mich dem Zeug nähere? Geh weiter. Es ist das Risiko nicht wert. Geh weiter.
    Ich gehe weiter.
    Wir trotten den Hauptgang zwischen den Kästen voller Menschen hinunter und erreichen einen Raum, der nicht ganz so schlimm ist. Metalltüren, Steinmauern, Neonröhren. Am Boden liegende Wächter. Gefängniszellen. Tommy Lapland sitzt auf einem Stuhl vor der Wachstube und applaudiert.
    »Habt ihr ihn?«
    »Wir haben den Bey.«
    »Gonzo?«
    »Nein.«
    Tommy nickt. Schlechte Neuigkeiten, aber das war auch zu erwarten. Gonzo ist tiefer im Komplex. Natürlich.
    »Siebzig Leute in den Zellen. Trent führt sie dort heraus, wo ihr hereingekommen seid.«
    Die Funkgeräte erwachen zum Leben. Pünktlich zur vollen Stunde. Jim Hepsobah:
    »Rustikal.« Das bedeutet, dass Jim lebt und wohlauf ist. »Flambeau.« Alles geht glatt. »Islington.« Keine Spur von Humbert Pistill. Die anderen antworten. Alles verläuft nach Plan. (Aber weder Pistill noch Gonzo sind aufgetaucht. Ich hoffe, das ist ein Zufall, bezweifle es aber.) Jim Hepsobah sagt: »Delfin.« Das bedeutet: Sucht Gonzo, aber kommt schnell da raus, auch wenn ihr ihn nicht findet. Dann sind die Funkgeräte erneut außer Betrieb. Der Generator läuft aber
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