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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt
Autoren: Nick Harkaway
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und Veda Tsur verlangten, sie müssten die Paten von Sallys und Jims Kind werden.
    Ronnie Cheung warf nur einen einzigen Blick auf Elisabeths Mutter und sagte ihr ins Angesicht, sie sei ein hübscher Sack Knochen, den er gern mal ordentlich durchrütteln würde. Sie knallte ihm eine Schöpfkelle gegen den Kopf. Ihre dritte Verabredung ohne Sex ist vorbei, aber ihrer Tochter gab sie zu verstehen, sie solle morgen früh auf gar keinen Fall unangemeldet auftauchen.
    So bin ich jetzt hier, klopfe an Gonzos Tür und fühle mich, als wäre ich fünf Jahre alt.
    Er öffnet und lässt mich herein. Sein rechter Arm ist noch eingegipst. Wie sich herausstellte, war der linke nur angebrochen. Wir gehen ins Wohnzimmer und setzen uns vor den Kamin.
    »Tja«, sagt Gonzo. Mehr nicht.
    Nun ja, schau mich nicht an. Dies ist der peinlichste Augenblick meines ganzen Lebens. Was sagt man zu einem Mann, dem man das Gehirn gestohlen hat? Zu jemandem, der einen in die Brust geschossen und aus dem Truck gestoßen hat? Was soll er zu mir sagen, da er nun weiß, dass ich sein Leben und die Welt gerettet habe?
    Wir schweigen eine Weile. Dann reden wir darüber, wie gut es allen anderen geht und wie verrückt die Welt jetzt wird. Schnell geht uns der Gesprächsstoff aus, denn man kann doch nicht gemütlich mit jemandem tratschen, den man sein Leben lang kennt, während gleichzeitig ein Elefant im Zimmer steht. Dabei scheint alles so klar zu sein. Was soll ich sagen?
    »Weißt du eigentlich, dass ich noch keinen Namen habe?«
    »Mach keine Witze …«
    »Also, du hast mir nie einen gegeben. Nun sieh mich nicht so an, als wäre ich der Idiot.«
    »Das ist wahr«, sagt Gonzo. »Das hab ich irgendwie übersehen.« Er überlegt. »Bist du … willst du noch mehr solche Sachen machen?«
    »Was meinst du?«
    »Dieses Draufgängertum.«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich jedenfalls nicht«, sagt Gonzo entschieden. »Ich bin damit fertig. Ich will … ich weiß auch nicht. Aber ich will es. Ich hätte es gern eine Weile mal schön ruhig.«
    »Oh.«
    »Tja … wenn du willst … dann könntest du Gonzo Lubitsch sein.«
    Ich denke darüber nach.
    »Nein. Aber vielen Dank, trotzdem.«
    Schweigen. Wir starren einander eine Weile an, schätzen uns ab.
    »Wir könnten so tun«, sagt Gonzo schließlich, »als hätten wir dieses Gespräch beendet.«
    Das ist eine interessante Idee.
    »Das könnten wir tun«, stimme ich vorsichtig zu.
    »Wir müssten es ja niemandem verraten.«
    »Nein, das müssten wir nicht.«
    »Hm.« Er hängt seinen Gedanken nach.
    »Wir brauchen aber eine ziemlich gute Geschichte, falls uns jemand danach fragt.«
    »Das stimmt.« Er denkt weiter nach. »Vielleicht könnten wir sagen, ich hätte mich erst mal dafür entschuldigt, dass ich auf dich geschossen habe. Das ist doch ein guter Anfang.«
    »Oder dass es mir leidtut … ich weiß auch nicht genau. Dass ich existiere. Aber vor allem tut es mir leid, dass ich nicht viel früher erkannt habe, was geschehen ist. Ich wollte sie dir nicht wegnehmen.«
    »Meinst du, wir könnten damit anfangen?«
    »Es klingt ein bisschen dünn, aber du weißt ja, worauf ich hinauswill.«
    Er nickt.
    »Ich glaube, wir sollten es ihnen sagen«, findet Gonzo Lubitsch. »Ich meine, dass ich sagte, wie leid es mir tut, auf dich geschossen zu haben.«
    »In Ordnung.«
    Dann springt er mich förmlich an, nimmt mich in die starken Arme und schüttelt mich an den Schultern. Und ich sage etwas wie: »Ist schon gut, ist schon gut.« Dann muss ich ihn aufs Sofa drücken und ihn in den Armen wiegen.
    Ich weiß wirklich nicht, was wir miteinander bereden. Es geht stundenlang, und am Ende bin ich nicht einmal sicher, ob wir Freunde oder Brüder sind oder sonst etwas, abgesehen davon, dass wir ich und Gonzo sind. Ich fühle mich in seiner Nähe nicht wohl. Aber es ist erledigt, und von hier an geht es nur noch vorwärts.
     
    Zaher Bey steigt aus dem Auto. Die Sonne versinkt in einem riesigen grünen Wald. Direkt unter uns im Tal fließt ein Bach, dort sind auch Vögel. Etwas so Großes schleicht zwischen den Bäumen umher, dass sie zittern. Einen Augenblick später stößt etwas Kleineres einen spitzen Schrei aus und verstummt. In der Ferne erkenne ich eine mit Mauern und hohen Türmen gesicherte Stadt mit hellen Häusern. Der Wind trägt ein leises Summen aus den Straßen herüber.
    »Die gefundenen Tausend«, sagt Zaher Bey.
    Die Welt, die wir kannten, ist endgültig verschwunden. Die neue Welt ist schön und gefährlich. Wir
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