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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt
Autoren: Nick Harkaway
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kann nur noch mit Schaudern an das FOX denken. Früher hatte ich ein warmes Gefühl dabei, jetzt wird mir übel.) Das Rohr bricht wie ein riesiger Wurm aus der Station hervor, knickt im rechten Winkel ab und verschwindet sofort im Hügel. Dort wollen wir aber nicht hin. Unser erster Angriffspunkt ist die Hauptkontrolle im übernächsten Gebäude. Es sieht wie ein Schuhkarton aus und hat sogar ein überstehendes Dach. Ich werfe einen Blick zu Samuel P., der nickt und lautlos abzählt. Dann drehe ich mich noch einmal zu Elisabeth um, die entschlossen lächelt und zögernd meine Hand loslässt. Ich vermisse sie sofort.
    Dann explodiert die Nacht.
     
    Ich renne gebückt wie ein Buckliger. Glocken höre ich nicht, aber Pfeifen, Hörner und die Rufe von Leuten, die hin und wieder Handfeuerwaffen abfeuern. Ab und zu gibt es einen lauten Knall. Jetzt brennt Jorgmunds Kern! Ha! Rache ist süß. Ich laufe im Zickzack wie Ben Carsville, und Elisabeth und Sam folgen meinem Beispiel. Wir sind nicht greifbare, verwirrende Schatten. Wir sind unsichtbar. Dann schießt jemand eine Leuchtkugel oder irgendeine andere Phosphorladung ab. Es wird taghell. Eine Katastrophe. Wir stehen ungeschützt im Freien und versuchen, hinter einem Gebüsch in der Größe eines Fernsehapparats in Deckung zu gehen. Ich warte auf das Knattern der Gewehre und den unvermeidlichen Schmerz. Dank Gonzo weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man angeschossen wird. Inzwischen bin ich real genug, um zu sterben. Ich wünschte, ich hätte doch noch eine Gelegenheit bekommen, Elisabeth zum Essen einzuladen und Bruschetta zu bestellen. Bitte, guter Gott, Tomaten und Basilikum und viel grünes Olivenöl. Ein Gebet an die Antipasti.
    Nichts geschieht. Niemand blickt in unsere Richtung, oder sie sind zu dumm, oder das grelle Licht hat sie geblendet. Vielleicht schützen uns die Ninja-Anzüge. Es spielt keine Rolle. Wir leben noch.
    Das Kampfgeschehen entfernt sich vom Haupttor und damit auch von uns, nimmt an Heftigkeit aber zu. Ich höre ein lautes Knacken, ein fröhlich donnerndes »HALLO, DU DA!«, und dann ertönt erschrockenes, undiszipliniertes Gewehrfeuer. Der erste Kastenteufel hat ausgelöst, und den Wächtern dämmert allmählich, dass sie sich auf einen sehr eigenartigen Abend gefasst machen müssen. Die nächste Leuchtkugel steigt auf, und jetzt erkenne ich auch den Kastenteufel, der wackelnd zwischen den Bäumen hervorschaut, bis ihn jemand mit einer Handgranate erlegt. Gleich danach dringen Schreie herüber – es klingt nicht nach schweren Verletzungen, sondern eher erschrocken und nach großen Schmerzen. Der Wind und das Chilipulver. Irgendwo müsste Ronnie Cheung dem ersten Gegner bald mal einen Tritt in die Kronjuwelen verpassen, und vermutlich mischen sich jetzt auch die Gänse ein.
    Die Karte aus Humbert Pistills Akte habe ich mir eingeprägt. Dort ist der Schuppen 1, in dem Maschinenteile gelagert sind. Im Vorbeigehen trete ich die Tür ein. Das ist ein Teil des Plans. Wenn wir über das Gelände ziehen, lösen wir zwangsläufig Alarmanlagen aus, also lösen wir lieber gleich alle aus. Wenn man nicht geräuschlos vorgehen kann, ist es besser, sich in einem Tumult von Geräuschen zu verstecken. Ich blicke in den Schuppen: Maschinenteile. So weit, so gut.
    Samuel P. legt sich flach auf den Bauch und verwandelt sich zwischen den Blumen in einen Busch (das Firmengelände wurde vor einiger Zeit gärtnerisch gestaltet). Elisabeth und ich drücken uns gegen eine Wand. Ein Wächter. Nein, zwei. Es sind Profis, die das große Theater am und vor dem Zaun des Geländes ignorieren und ihre Runden fortsetzen. Glauben sie wirklich, sie bewachten eine Kunstmilchfabrik? Sie mögen zwar vorsichtig sein, rechnen aber nicht mit einem Einzelkämpferrhododendron und gehen an Sam vorbei. Lautlos richtet er sich hinter ihnen auf. Ein Mann fällt, der zweite dreht sich um, Elisabeth versetzt ihm ein, zwei, drei Handkantenschläge auf den Hals und fängt ihn auf, als er zu Boden geht. Sie ist sanft. Ich beneide ihn sogar ein wenig. Wir stecken die beiden in den Schuppen 1 zwischen die Ersatzteile. Es kann nicht schaden, wenn sie beim Aufwachen viel Krach machen, solange sie es nicht in den nächsten drei Minuten tun. Das vergrößert nur noch den Spaß.
    Hinter Schuppen 7 und jenseits des Kreisverkehrs (noch mehr Blumen) hat sich Jorgmunds Kern als Hauptsitz von Lactopolis Inc. verkleidet: glänzend, in Rosa und Babyblau gehüllt, überall moderne Glasfronten. Ein offener,
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