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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit
Autoren: Diana Gabaldon
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zerzaust - damit beschäftigte, Fiona bei der Zubereitung des Abendessens zu helfen.
    Auch das Mahl verlief schweigsam. Spannung herrschte jedoch nicht zwischen ihnen; vielmehr schienen sich die drei auch ohne Worte zu verstehen. Brianna saß neben ihrer Mutter und strich ihr immer wieder über die Hände, wenn sie ihr einen Teller reichte, als wollte sie sich vergewissern, daß sie auch wirklich da war. Roger warf sie gelegentlich unter gesenkten Wimpern einen schüchternen Blick zu, doch sie sprach ihn nicht an.
    Claire sagte wenig und aß fast nichts. Ruhig und schweigend saß sie da. Nach dem Essen entschuldigte sie sich, sie sei müde, und setzte sich ans Fenster am Ende der Halle. Brianna warf ihr einen raschen Blick zu und ging dann in die Küche, um Fiona beim Geschirrspülen zu helfen. Gesättigt von Fionas üppiger Mahlzeit, begab sich Roger ins Studierzimmer. Er wollte nachdenken.
    Doch auch zwei Stunden später war er keinen Schritt weitergekommen. Auf Tisch und Schreibtisch stapelten sich Bücher, die klaffende Lücken im Regal hinterlassen hatten; andere lagen als Ausdruck seiner mühevollen Suche aufgeschlagen auf Sesseln und dem Sofa.
    Es hatte einige Zeit gedauert, doch schließlich hatte er sie gefunden - jene kurze Passage, die ihm von seiner Recherche für Claire noch in Erinnerung geblieben war. Die Ergebnisse hatten ihr Frieden und Trost gebracht - dies würde eine entgegengesetzte Wirkung auf sie haben, wenn er ihr davon berichtete. Doch auch wenn dem so wäre, er mußte es ihr sagen, denn es erklärte das abgelegene Grab, so weit von Culloden entfernt.
    Als er sich mit der Hand übers Gesicht fuhr, spürte er seine Bartstoppeln. Kein Wunder, daß er bei alledem, was passiert war, vergessen hatte, sich zu rasieren. Wenn er die Augen schloß, roch er wieder Rauch und Blut, sah die stechenden Flammen auf dem dunklen Hügel und die fliegenden blonden Haare, die er fast hätte berühren können. Ihn schauderte bei der Erinnerung, und plötzlich spürte er Ärger in sich aufsteigen. Claire hatte seinen inneren Frieden zerstört. Also konnte er gleiches mit gleichem vergelten. Und
Brianna - wenn sie schon die Wahrheit kannte, dann sollte sie auch alles erfahren.
    Claire saß noch immer mit angezogenen Füßen auf dem Fenstersitz und starrte durch die Scheiben in die Dunkelheit.
    »Claire?« Seine Stimme klang heiser, und er räusperte sich. »Claire? Ich muß Ihnen etwas sagen.«
    Sie wandte sich zu ihm um. Ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Spur von Neugier. Er las darin den Frieden eines Menschen, der Schrecken, Verzweiflung, Trauer und schließlich die drückende Last, überleben zu müssen, ertragen hatte - und sich dennoch nicht hatte unterkriegen lassen. Als er sie so vor sich sah, hätte er seinen Plan am liebsten aufgegeben.
    Doch sie hatte ihm die Wahrheit gesagt, und er schuldete ihr das gleiche.
    »Ich habe etwas herausgefunden.« Überflüssigerweise hob er das Buch in die Höhe. »Über... über Jamie.« Den Namen auszusprechen, schien ihn zu stärken, als hätte er damit die kräftige Gestalt des Schotten heraufbeschworen, die nun fest und unerschütterlich zwischen Claire und ihm in der Halle Stellung bezog. Roger wappnete sich, indem er tief Luft holte.
    »Was denn?«
    »Sein letztes Vorhaben. Ich glaube... es ist ihm nicht gelungen.«
    Sie wurde blaß und blickte mit großen Augen auf das Buch.
    »Seine Männer? Aber Sie haben doch gesagt...«
    »Das stimmt«, fiel Roger ihr ins Wort. »Ich bin mir eigentlich sicher, daß er es geschafft hat. Er hat die Männer von Lallybroch auf die Straße nach Hause gebracht und so vor der Schlacht bewahrt.«
    »Aber was...«
    »Anschließend wollte er zurückgehen in den Kampf, und ich glaube, das hat er auch getan.« Immer mehr widerstrebte es ihm fortzufahren, doch er hatte keine andere Wahl. Da er keine Worte fand, schlug er das Buch auf und las ihr vor:
     
    »Nach der Entscheidungsschlacht von Culloden suchten achtzehn jakobitische Offiziere, allesamt verwundet, Zuflucht in einer alten Kate. Zwei Tage lagen sie dort in Schmerzen, ohne daß ihre Wunden versorgt wurden. Dann führte man sie zur Hinrichtung hinaus. Einer der Männer, ein Fräser aus dem Regiment des Herrn von
Lovat, entkam dem Gemetzel; die anderen wurden am Rande des Parkes bestattet.«
     
    » Einer der Männer, ein Fräser aus dem Regiment des Herrn von Lovat, entkam dem Gemetzel. ..«, wiederholte Roger leise. Er sah von dem Buch auf und blickte Claire in die Augen.
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