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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit
Autoren: Diana Gabaldon
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laut. »Und was ist das, bitte?« Der Kellner, der mit einem Teller Tortellini vor mir stand, starrte mich verwundert an.
    »Wie bitte?« fragte er.
    »Unwichtig«, erwiderte ich. Im Augenblick war es mir egal, was er von mir dachte. »Am besten, Sie bringen mir gleich die ganze Flasche.«

    Die Gespenster leisteten mir auch während der Mahlzeit Gesellschaft. Gestärkt von Speis und Trank, schob ich schließlich meinen leeren Teller beiseite und schlug Gillian Edgars’ graues Notizbuch auf.

49
    Selig sind die...
    Es gibt keinen dunkleren Ort auf der Welt als eine Straße in den Highlands in einer mondlosen Nacht. Hin und wieder tauchten die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos Rogers dunkle Silhouette in helles Licht. Er hatte die Schultern eingezogen, als wollte er sich gegen kommende Gefahren wappnen. Brianna saß zusammengekauert neben mir auf der Rückbank. Keiner von uns sprach ein Wort. Wir hatten uns voreinander zurückgezogen in kleine, abgeschiedene Nischen des Schweigens.
    Ich hatte die Hände in die Taschen gesteckt und spielte mit Münzen, einem zerknüllten Papiertaschentuch, einem Bleistiftstummel und einem Gummiball, den ein kleiner Patient auf dem Fußboden meines Sprechzimmers hatte liegenlassen. Ich fuhr mit dem Daumen über den Rand eines Vierteldollars, die Oberfläche eines englischen Pennys und die kantigen Einkerbungen am Schlüssel zu Gillian Edgars’ Studierzimmer, den ich dem Institut vorenthalten hatte.
    Bevor wir aufgebrochen waren, hatte ich noch einmal versucht, bei Greg Edgars anzurufen. Doch obwohl ich es lange hatte läuten lassen, nahm niemand ab.
    Ich starrte aus dem Seitenfenster des Wagens, nahm jedoch weder mein Spiegelbild wahr noch die Umrisse der schwarzen Steinmauern und Bäume, die in der Dunkelheit an uns vorbeiflogen. Statt dessen sah ich die Bücher vor mir, die säuberlich aufgereiht wie die Gläser eines Apothekers auf dem Regal in dem kleinen Studierzimmer standen. Darunter das Notizbuch, das logische Schlußfolgerungen ebenso wie Vermutungen, Mythen wie Fakten, Zusammenfassungen wissenschaftlicher Abhandlungen wie Legenden, all das gegründet auf die Macht von Träumen enthielt. Ein uninformierter Leser würde es wahrscheinlich für unausgegorenes
Zeug oder bestenfalls für den Entwurf zu einem eigenwilligen Roman halten. Nur ich sah darin einen sorgfältig entwickelten Plan.
    In naiver Anlehnung an die wissenschaftliche Methode war der erste Teil des Buches mit »Beobachtungen« überschrieben. Er bestand aus zusammenhanglosen Zitaten, Skizzen und sorgfältig numerierten Tabellen. »Der Stand von Sonne und Mond an Beltene«, war eine davon, die mehr als zweihundert Angaben enthielt. Ähnliche Aufstellungen befaßten sich mit Imbolc, Lugnosa und Samhain, den alten Sonnen- und Feuerfesten. Und morgen würden wir Beltene feiern.
    Der mittlere Teil des Buches trug den Titel »Vermutungen«. Zumindest das war korrekt. Auf einer Seite stand: »Die Druiden verbrannten ihre Menschenopfer in Weidenkäfigen, die dem Körper des Menschen nachgebildet waren, doch manche wurden auch durch den Strang getötet. Anschließend schlitzte man ihnen den Hals auf, damit alles Blut herauslaufen konnte. Welches war der entscheidende Bestandteil: Feuer oder Blut?« Die kaltblütige Neugier, die aus dieser Frage sprach, ließ Geillis Duncans Bild deutlich vor meinem inneren Auge entstehen - nicht die Schülerin mit den großen Augen und dem glatten Haar, deren Foto man mir im Institut gezeigt hatte, sondern die geheimnisvolle, zehn Jahre ältere Frau des Prokurators mit dem schiefen Lächeln, die so bewandert war in der Anwendung von Kräutern und dem Einsatz ihres Körpers, die die Männer zu ihrem Instrument machte und leidenschaftlos tötete, um ihre Ziele zu erreichen.
    Der letzte Teil des Buches war mit »Schlußfolgerungen« überschrieben und hatte uns in der Nacht vor Beltene auf die Reise geführt. Ich umklammerte den Schlüssel und wünschte mir von ganzem Herzen, Greg Edgars hätte den Telefonhörer abgenommen.
     
    Roger bremste und bog in den Feldweg am Fuße des Craigh na Dun.
    »Nichts zu sehen«, sagte er. Da er so lange nicht gesprochen hatte, kam die Bemerkung nur als heiseres, kämpferisch klingendes Krächzen heraus.
    »Natürlich nicht«, erwiderte Brianna ungeduldig. »Den Steinkreis kann man von hier aus nicht sehen.«
    Roger murmelte etwas und bremste den Wagen noch weiter ab.
Offensichtlich war Brianna angespannt - er aber auch. Nur Claire wirkte ruhig und
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