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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit
Autoren: Diana Gabaldon
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Platz nahm. Ihr Gesicht war starr vor Anspannung. Die Hände wie Schraubstöcke um das Lenkrad geklammert, fuhr sie den Wagen zurück ins Pfarrhaus. Roger war neben ihr auf dem Beifahrersitz zusammengesunken. Im Rückspiegel sah er eine letzte schwache Glut auf der Bergkuppe. Sie beschien eine kleine Rauchwolke, die wie das Mündungsfeuer einer Kanone als Zeugnis der vergangenen Schlacht über dem Gipfel stehengeblieben war.
    Jetzt beugte sich Brianna über das Sofa, auf dem ihre Mutter reglos wie eine in Stein gemeißelte Grabfigur lag. Schaudernd hatte Roger darauf verzichtet, die Scheite im Kamin anzuzünden, und statt dessen den kleinen Elektroofen angestellt, mit dem sich der Reverend an kalten Winterabenden die Füße gewärmt hatte. Die Stäbe glühten orangerot und heiß, und er gab ein freundliches Zischen von sich, das die Stille im Raum ein wenig erträglicher machte.
    Roger setzte sich auf einen Schemel neben dem Sofa. Er fühlte sich matt und ausgelaugt. Mit letzter Kraft griff er nach dem Telefon auf dem Tischchen und ließ die Hand über dem Hörer schweben.
    »Sollten wir nicht...«, er mußte sich räuspern, »sollten wir nicht den Arzt rufen? Und die Polizei?«
    »Nein.« Brianna klang entschlossen. Aufmerksam beugte sie sich über die reglose Gestalt auf dem Sofa. »Sie kommt zu sich.«
    Claires Lieder flatterten. Als die Erinnerung an die Schmerzen zurückkehrte, schlossen sie sich fest, doch dann entspannte sie sich und öffnete die Augen. Ihr Blick war klar und weich. Er glitt über Brianna, die hochaufgerichtet und steif neben ihr stand, und blieb schließlich an Roger haften.
    Aus Claires Gesicht war alles Blut gewichen, und sie mußte mehr als einmal ansetzen, bevor sie ein heiseres Flüstern herausbrachte.
    »Ist sie... durch den Stein gegangen?««
    Claire hatte die Finger um eine Falte ihres Rockes geklammert, und als sie sie losließ, blieb ein dunkler Blutfleck auf dem Stoff zurück. Auch Roger hielt, ohne es zu merken, die Knie so fest umschlungen, daß sein Hände gefühllos wurden. Claire hatte sich
also wie er verzweifelt gegen den Sog der Vergangenheit gestemmt. Überwältigt von der Erinnerung an diesen verzweifelten Kampf, schloß er die Augen. Dann nickte er.
    »Ja«, sagte er. »Sie ist fort.«
    Claire runzelte die Stirn und sah ihre Tochter fragend an. Doch es war Brianna, die die Frage in Worte faßte.
    »Dann ist es also wahr?« fragte sie zögernd. »Das alles ist wahr?«
    Ein Zittern durchlief Briannas Körper und ohne weiter nachzudenken, nahm Roger ihre Hand. Sie drückte sie so fest, daß er zusammenzuckte. Im Geiste hörte er einen Predigttext des Reverends: »Selig sind, die nicht sehen und trotzdem glauben.« Doch was ist mit jenen, die sehen müssen, um zu glauben? Brianna neben ihm glaubte, nachdem sie gesehen hatte, doch bang harrte sie der Dinge, die sie jetzt noch würde glauben müssen.
    Claires geschwungene, blasse Lippen rundeten sich zum Ansatz eines Lächelns, und ein Ausdruck tiefen Friedens glättete das müde, bleiche Gesicht.
    »Ja, es ist wahr«, sagte sie. Ein Hauch von Röte überzog die fahlen Wangen. »Oder glaubst du, deine Mutter lügt dich an?« Dann schloß sie wieder die Lider.
     
    Roger beugte sich hinunter, um den Elektroofen abzuschalten. Die Nacht war kalt, doch er hielt es nicht länger im Studierzimmer, seinem gegenwärtigen Zufluchtsort, aus. Er mußte eine Entscheidung treffen.
    Der Arzt und die Polizeibeamten waren noch in der Nacht gekommen und erst gegen Morgengrauen wieder aufgebrochen, nachdem sie Formulare ausgefüllt, Zeugenaussagen aufgenommen, Vitalfunktionen untersucht und alles unternommen hatten, um die Wahrheit zu verschleiern. Gesegnet sind, die nicht sehen, dachte Roger andächtig, und trotzdem glauben. Besonders in diesem Fall.
    Schließlich waren sie mit ihren Formularen, ihren Polizeimarken und mit aufgeblendeten Autoscheinwerfern losgefahren, um die Bergung von Greg Edgars’ Leichnam zu überwachen und einen Haftbefehl gegen seine Frau zu erlassen, die sich, nachdem sie ihren Mann in den Tod gelockt hatte, auf der Flucht befand. Milde ausgedrückt.
    Körperlich und geistig ausgelaugt, hatte Roger die Randalls in
die Obhut Fionas und des Arztes gegeben. Dann war er zu Bett gegangen. Er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, sich auszuziehen oder die Bettdecken zurückzuschlagen. Abends hatte ihn ein nagender Hunger geweckt. Als er nach unten kam, fand er seine Gäste - ähnlich in sich gekehrt, aber nicht ganz so
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