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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit
Autoren: Diana Gabaldon
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Gillian nicht wußte, ob nun Menschenblut oder Feuer bei der Zeremonie entscheidend war, hatte sie sich für beides entschieden.
    Er schob sich an Brianna vorbei und steuerte geradewegs auf die große, schlanke Frau zu. Als sie ihn kommen sah, wandte sie sich um und lief rasch wie der Wind zu dem gespaltenen Stein am anderen Ende des Kreises. Über der Schulter trug sie einen Rucksack aus Leinwand.
    Einen Augenblick blieb sie vor dem Stein stehen, legte die Hand auf den Felsen und sah zurück. Roger hätte schwören können, daß ihr Blick auf ihm verweilte und über die Feuerbarriere hinweg dem seinen begegnete. Er öffnete den Mund zu einem stummen Ruf, doch sie wirbelte herum und verschwand in der Felsspalte.
    Das Feuer, der Leichnam, ja die Nacht selbst, verschwand in einem ohrenbetäubenden Schrei. Plötzlich lag Roger auf dem Bauch und fuhr mit den Händen wie rasend über das Gras, auf der Suche nach etwas Vertrautem, an dem er sich festhalten konnte. Selbst der Boden, auf dem er lag, schien unter ihm nachzugeben, als läge er auf Flugsand statt auf Granitgestein.
    Geblendet von dem gleißenden Licht, taub von dem markerschütternden Schrei des sich öffnenden Steins, suchte Roger nach einem Halt, schlug wild um sich, verlor die Herrschaft über seine Glieder. Er nahm nur noch einen übermächtigen Sog und den Drang, dagegen anzukämpfen, wahr.
    Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, es war, als würde er schon immer in dieser furchtbaren Leere kämpfen. Endlich jedoch wurde er etwas außerhalb seiner selbst gewahr. Hände klammerten sich verzweifelt an seine Arme, und weiche Brüste preßten sich an sein Gesicht.
    Allmählich kehrte sein Hörvermögen zurück, und er vernahm eine Stimme, die ihm Schimpfworte an den Kopf warf.
    »Du Dummkopf! Du... Trottel! Wach auf, Roger, du... Vollidiot!« Obwohl die Stimme nur gedämpft an sein Ohr drang, verstand er den Sinn der Worte sehr wohl. Mit fast übermenschlicher Anstrengung streckte er den Arm aus und griff nach Briannas Handgelenken. Halbblind sah er das tränenüberströmte Gesicht von Brianna Randall über sich.

    Der Gestank nach Petroleum und verbranntem Fleisch war mehr, als er ertragen konnte. Roger wurde von einem Würgereiz gepackt, drehte sich auf die Seite und erbrach sich ins feuchte Gras.
    Nachdem er sich den Mund am Ärmel abgewischt hatte, streckte er unsicher die Hand nach Brianna aus, die sich zitternd zusammengekauert hatte.
    »O mein Gott!« stammelte sie. »O Gott! Ich hätte nicht gedacht, daß ich dich noch zurückhalten könnte. O mein Gott! Du bist geradewegs auf den Stein zugekrochen.«
    Er zog sie an sich, und sie leistete keinen Widerstand. Zitternd stand sie da, während ihr Tränen aus den blicklosen, geweiteten Augen rollten. Immer wieder stammelte sie: »O Gott!«
    »Ist ja gut«, sagte Roger und strich ihr über den Rücken. »Es wird alles wieder gut.« Allmählich verschwand das Schwindelgefühl, obwohl es ihm immer noch so vorkam, als hätte man ihn auseinandergenommen und die Teile wahllos in alle vier Himmelsrichtungen verstreut.
    Von dem geschwärzten Objekt auf dem Boden kam ein leises Knacken, doch ansonsten war die Nacht wieder still. Aber Roger legte die Hände auf die Ohren, als wollte er sie vor dem Dröhnen verschließen, das noch immer in seinem Kopf widerhallte.
    »Hast du es auch gehört?« fragte er. Brianna nickte mechanisch.
    »Hat deine...«, setzte er an. Nur mühsam ordnete er seine Gedanken. Doch plötzlich fuhr er senkrecht in die Höhe.
    »Deine Mutter!« rief er. Grob griff er Brianna am Arm. »Wo ist Claire?«
    Entsetzt riß Brianna den Mund auf. Ihr Blick flog verzweifelt über das leere Rund des Kreises, an dessen Rand die mannshohen Steine im flackernden Schein der Flammen glühten.
    »Mutter!« schrie sie. »Mutter, wo bist du?«
     
    »Es geht ihr gut«, sagte Roger beschwichtigend. »Bald ist sie wieder in Ordnung.«
    Im Grunde hatte er keine Ahnung, ob Claire wieder genesen würde. Aber wenigstens eins stand fest: Sie war noch am Leben.
    Sie hatten Claire bewußtlos am Rand des Kreises im Gras gefunden, bleich wie das Licht des Mondes, der sich allmählich am Himmel zeigte. In aller Eile hatte Roger Claire den Berghang hinuntergetragen, wobei er ständig über Steine stolperte und mit den
Kleidern im Gestrüpp hängenblieb. An diesen höllischen Abstieg wollte er sich lieber nicht erinnern.
    Der Weg von der Bergspitze zum Auto hatte Roger so erschöpft, daß Brianna hinter dem Steuer
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