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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Pancol
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Voraussetzungen!« Meine Schwester ist immer so theatralisch, dachte Joséphine, während sie das Telefon zwischen Wange und Schulter klemmte. Wenn Iris jemanden auch nur ansatzweise sympathisch findet oder sogar mag, schlägt sie erst einmal im Arzneimittelverzeichnis nach, weil sie fürchtet, sie könnte krank sein.
    »Ist alles in Ordnung? Deine Stimme klingt so komisch …«, fragte Iris an diesem Morgen.
    »Ich habe Schnupfen …«
    »Dachte ich’s mir doch … Sag mal, morgen Abend … Das Essen mit unserer Mutter … Das hast du doch nicht vergessen, oder?«
    »Das ist schon morgen?«
    Sie hatte es vollkommen vergessen.
    »Also wirklich, Liebes, wo hast du bloß deinen Kopf?«
    Wenn du wüsstest, dachte Joséphine, während sie sich nach einem Stück Küchenkrepp umsah, um sich die Nase zu putzen.
    »Lass endlich deine Troubadoure in Frieden und komm zurück in die Gegenwart! Du bist viel zu zerstreut. Bringst du deinen Mann mit, oder hat er schon wieder einen Vorwand gefunden, um sich zu verdrücken?«
    Joséphine lächelte traurig. So könnte man es auch nennen, dachte sie, sich verdrücken, auf andere Gedanken kommen, sich verdünnisieren. Antoine war dabei, sich in Luft aufzulösen.
    »Er kommt nicht mit …«
    »Dann müssen wir uns eine neue Ausrede für unsere Mutter einfallen lassen. Du weißt, wie sehr es sie ärgert, dass er nie mitkommt …«
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie egal mir das ist, Iris!«
    »Du bist viel zu gut zu ihm! An deiner Stelle hätte ich ihn schon längst vor die Tür gesetzt. Aber so bist du nun mal, und du wirst dich auch nie ändern … armes Ding.«
    Jetzt also Mitleid. Joséphine seufzte. Seit ihrer Kindheit war sie Jo, das dumme Gänschen, die reizlose Intellektuelle, die unverständliche Theorien mochte, komplizierte Wörter und langwierige Bibliotheksrecherchen in Gesellschaft anderer schlecht gekleideter, pickliger Blaustrümpfe. Die jede Prüfung bestand, aber keinen Eyeliner auftragen konnte. Die sich auf der Treppe den Knöchel verstauchte, weil sie beim Hinuntergehen Montesquieus Ausführungen zur Klimatheorie gelesen hatte, oder den Toaster direkt unterm Wasserhahn einsteckte, während sie auf France Culture eine Sendung über die Kirschblüte in Tokio hörte. Die bis spät in die Nacht hinein das Licht brennen ließ und über ihren Büchern saß, während ihre ältere Schwester ausging, Erfolg hatte, kreativ war und alle in ihren Bann zog. Iris hier, Iris da, ich könnte ganze Opernarien darüber schreiben!
    Als Joséphine die Agrégation für französische Literatur und Altphilologie bestanden hatte, jene Zulassungsprüfung, die es ihr erlaubte, in höheren Schulklassen und an der Universität zu unterrichten, da hatte ihre Mutter sie gefragt, was sie damit eigentlich bezwecke. »Kind, was soll das denn bringen? Willst du halbwüchsigen Vorstadtschülern als Zielscheibe dienen oder dich auf einer Mülltonne vergewaltigen lassen?« Und auch als sie ihre Studien fortsetzte, ihre Doktorarbeit schrieb und Aufsätze verfasste, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, hatte sie nur Fragen und Skepsis geerntet. »›Wirtschaftlicher Aufschwung und soziale Entwicklung im Frankreich des 11. und 12. Jahrhunderts‹, ach, Kind, wer soll das denn lesen? Schreib doch lieber eine saftige Biografie über Richard Löwenherz oder Philippe Auguste, so etwas interessiert die Leute! Das könnte man verfilmen oder eine Fernsehserie daraus machen! Und dann hätte sich auch endlich das lange Studium ausgezahlt, das ich dir im Schweiße meines Angesichts finanziert habe!« Dann zischte sie wie eine Viper, die sich darüber ärgert, dass ihr Nachwuchs zu langsam vorankommt, zuckte mit den Schultern und seufzte. »Wie konnte ich nur so eine Tochter zur Welt bringen?« Das hatte sich Madame immer schon gefragt. Seit Joséphines ersten Schritten. Ihr Mann, Lucien Plissonnier, hatte darauf stets geantwortet: »Da hat sich der Storch wohl in der Adresse geirrt.« Doch angesichts der mangelnden Begeisterung, mit der seine Scherze aufgenommen wurden, war er schließlich verstummt. Endgültig.
An einem 13. Juli hatte er abends plötzlich eine Hand auf die Brust gelegt. »Es ist doch noch zu früh für die Knallfrösche«, hatte er gerade noch sagen können, ehe er starb. Joséphine und Iris waren zehn und vierzehn Jahre alt. Es war eine prunkvolle Beerdigung gewesen, die Madame mit majestätischer Würde leitete. Sie hatte alles bis ins letzte Detail geplant: die
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