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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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nicht im Morgengrauen zu erschrecken.«
    »Ich versprecht«, sagte Sean lächelnd, schulterte seine Waffe und stieg die Treppe hoch. In seinem Zimmer angekommen, zog er sich aus, wusch sich leise und streckte sich aus. Er schlief in dem Bewusstsein ein, eine völlig neue Seite Jerusalems kennen gelernt zu haben: seine engsten, dunkelsten Gassen und ein Dutzend unglaublicher Verstecke.
     
    Die Jahresmitte war seit einer Handvoll Tagen überschritten, es war nun nicht mehr ganz so brütend heiß wie zuvor, und der Vollmond hatte die nächtliche Luft über der Stadt etwas abkühlen lassen. Da Mara gewusste hatte, dass Suleiman etwas Besonderes plante, hatte sie in dieser windstillen Nacht Dutzende Kerzen, Windlichter und Öllämpchen überall auf der Dachterrasse verteilt. Alles war in gelbes Licht getaucht.
    Es fehlt eigentlich nur seine geliebte Mariam, dachte Suleiman, und, wenn es denn nicht anders geht, auch ihr Vater, Sasa Dentrevez. Er blickte sich um und sah in erwartungsvolle, frohe Gesichter. Selbst Joshua, der einigermaßen erstaunt mit seiner klobigen Brille hantierte, strahlte Ruhe und Sorglosigkeit aus.
    Suleiman, der äußerst feierlich gekleidet war, hatte bei einem der teuersten Händler des Basars ein reichhaltiges Essen bestellt. Für zehn hungrige Mäuler waren zahlreiche Delikatessen aufgefahren worden; es war mehr als reichlich für alle da. Sein Vater, hatte Suleiman dem Händler gesagt, der allseits bekannte und wegen seiner Großzügigkeit ebenso geschätzte wie wegen seines Geizes gefürchtete »Vater der Klingen«, würde die anfallenden Kosten bis zur letzten Drachme übernehmen. Nach dem Kampf mit Abdullah sah er dem zornigen Geschrei seines Vaters gelassen entgegen.
    »Freunde!«, sagte er, und sein Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen, »vieles ist in letzter Zeit geschehen, und vieles ist gedacht, geraunt und gesagt worden. Joshua hat lange Gespräche mit mir geführt. Henris Fragen und Antworten waren kaum weniger erschöpfend. Mit Sean bin ich einen Mondwechsel lang durch die ganze Stadt gezogen – wir beide hatten und haben vieles zu erzählen. Auch von dem geheimnisvollen Schwert, das die Armen schützt. Uthman ibn Umar, unser Gastgeber, ein Muslim wie ich, hat seine zahlreichen Ratschläge an meine Ohren nicht verschwendet. Ich weiß, dass ich heute als Schüler einer Gruppe weiser Lehrer gegenüberstehe. Ich zittere mehr als Sean, der seine Meister schon gefunden hat.« Er breitete die Arme aus, als wolle er davonfliegen, und redete atemlos weiter. »Henri, Uthman und Joshua, ich will euer Schüler sein. Beurteilt mich nicht nach den Leckerbissen, sondern danach, was ihr von mir und Sean erfahren habt – denn das ist die Wahrheit, so wahr mir Allah helfe.«
    Henri hob die Hand und deutete auf Suleiman. Heute trug er seine kostbaren Ringe.
    »Ich habe Sean alles gelehrt, was ich konnte und was ich wusste.« Er holte tief Luft. »Und alles, was ich vermag, lehre ich auch Suleiman. Er hat sich als gelehriger und guter Schüler erwiesen. Ich brauche meinen Worten nichts mehr hinzuzufügen. Ich freue mich, dass er uns die Ehre erweisen möchte, seine Lehrer zu sein.«
    Suleiman verbeugte sich tief und sagte sichtlich verlegen: »Ich danke Euch, Henri de Roslin. Ich werde alles tun, um Euch nicht zu enttäuschen.«
    Die Kerzen und alle anderen Lichter bildeten Vierecke und Kreise um die Tische, Bänke und Hocker auf dem Dach des Hauses.
    Uthman nickte Suleiman zu und sagte: »Suleiman hat uns berichtet, dass uns niemand belästigen und angreifen wird. Ich traue diesem Frieden nicht ganz, aber ich will euch nicht mehr erschrecken als nötig. Wenn das Haus meines Vaters, das jetzt mir gehört, euch als Treffpunkt und Heimat dienen kann – betrachtet es als euren Besitz. Shalom, Friede und Salaam.«
    »Inshallah!«, antwortete Suleiman ergriffen. »Ihr werdet mich also unterrichten?«
    »So gut, wie wir es vermögen«, versicherten Uthman und Henri wie aus einem Mund. Als Suleiman von Sean erfahren hatte, dass Uthman lange Jahre in der Bibliothek von Salamanca studiert hatte und somit in vielen Künsten bewandert war, kannten seine Neugierde und seine Begeisterung keine Grenzen.
    »Dann werden wir eines Tages können, was ihr könnt, und wissen, was ihr wisst!«, freute sich Suleiman.
    Joshua beäugte die Platten, Körbe und Schalen voller Leckerbissen mit gerunzelter Stirn und sagte leise zu Suleiman: »Ich hoffe, du hast ein wenig auch an mich gedacht und koscheres Essen
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