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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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seiner Möglichkeiten. Wenn im Koran Jesus als das »Wort Gottes« bezeichnet wird, so in der Sure »Die Sippe Imrans«, wo es heißt: »Maria! Gott verkündet dir ein Wort von sich, dessen Name Jesus Christus, der Sohn der Maria, ist!« [Sure 3, 45], dann verstand Nikolaus dies in der Tradition der christlichen Dogmatik. Doch widersprechen moderne Interpreten dieser Auslegung. Es sind zwei Bedeutungen, die dem Begriff »Wort Gottes« im Koran beigelegt werden: Zum einen wurde damit deutlich gemacht, dass Jesus wie alles Seiende durch Gottes Schöpfungswort ins Dasein gerufen worden ist, und zum anderen, dass Jesus der Verkünder von Gottes Wort ist. Andere Überlegungen des Nikolaus von Kues scheiterten an Fehlübersetzungen. So bemühte er sich um eine Deutung des Jesus laut der Koranübersetzung des Robert von Ketton zukommenden Namens als »Antlitz aller Geschlechter«, was er auf Psalm 45,3 bezieht, wo es heißt: »Schön bist du wie keiner unter den Menschen, ausgegossen auf deinen Lippen ist Anmut; so hat dich Gott auf ewig.« Doch die Koranstelle heißt richtig übersetzt: »Er wird im Diesseits und Jenseits angesehen sein, einer von denen, die (Gott) nahe stehen« [Sure 3, 45]. Das arabische Wort für »angesehen« hatte Robert von Ketton mit »Antlitz« übersetzt.
    In seinem Bemühen, die Koranaussagen zu Jesus im christlichen Sinne zu deuten, übersah Nikolaus von Kues völlig deren eigentliche Bedeutungen. Dem Koran zufolge ist Jesus Gottes Prophet und ein Gesandter Gottes, aber nicht Gottes Sohn. Weiterhin wird Jesus als der größte Gesandte dargestellt, aber »Abschluss und zugleich Höhepunkt der Prophetengeschichte ist Muhammad, das Siegel der Propheten« [Hagemann, 1983, S. 21]. Selbst der Tod Jesu wird im Koran geleugnet: »[…] und weil sie sagten: ›Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet.‹ – Aber sie haben ihn in Wirklichkeit nicht getötet und auch nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen ein anderer ähnlich, sodass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten« [Sure 4, 157]. Dass es nach dem Koran keinen Jesus als wieder auferstandenen Gottessohn gibt, ließ Nikolaus völlig außer Acht. Durch seine Voreingenommenheit, aber auch aufgrund der durch Fehlinterpretationen und Fehlübersetzungen schon beeinträchtigten Grundlagen seiner Arbeit war es Nikolaus nicht möglich, ein wirkliches Verständnis des Korans zu entwickeln. Es ist allein sein ehrliches Bemühen um die Aufdeckung der Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen zu würdigen. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis diese Schranken durchbrochen werden konnten und auch der Koran aus sich selbst heraus interpretiert wurde.
     
    Jörg Dendl

Literatur:
    C. Colpe, Problem Islam, Frankfurt a. M. 1989
    N. Daniel, Islam and the West, Oxford 1993
    J. Dendl, Wallfahrt in Waffen, München 1999
    E. Dermenghem, Mohammed, Hamburg 1960
    J. Ehmann, Ricoldus de Montecrucis: Confutatio Alcorani (1300), Würzburg 1999
    P. Engels, Wilhelm von Tripolis: Notitia de Machometo / De statu Sarracenorum, Würzburg 1992
    K. Förstel, Niketas von Byzanz: Schriften zum Islam (griech.-dt.), Würzburg 2000
    F. Gabrieli, Die Geschichte der Araber, Stuttgart 1963
    R. Glei, Petrus Venerabilis: Schriften zum Islam, Altenberge 1985
    L. Hagemann / R. Glei: Nikolaus von Kues, Cribratio Alkorani. Sichtung des Korans (lat.-dt.) R. W. Southern, Western Views of Islam in the Middle Ages, Cambridge (Amss.) 1962
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