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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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mit klappernden Hufschlägen hinter der nächsten Biegung.
    Seit dem ersten Atemzug nach dem Aufwachen sann Sean über eine Möglichkeit nach, seinen Entführern zu entkommen. Er beobachtete jede noch so geringfügige Einzelheit ihres Vorgehens und schätzte die Kraft und Behändigkeit der Männer ab. Aber in seiner Lage, mit Fesseln an den Handgelenken und an den Sattel angebunden, war er völlig hilflos.
    Einer der Verwundeten ritt seinen Rappen. Seine Waffen waren in einem Leinensack am Sattel festgebunden, sein Mantel hing schief als zusammengeschnürte Rolle hinter dem Sattel. Keiner von den vielen Frauen und Männern, die außer ihm und den Entführern auf der Straße unterwegs waren, erkannte seine Lage; sie waren zu müde, zu gleichgültig oder zu sehr mit ihren eigenen Dingen beschäftigt. Er versuchte, auf dem breiten Pferderücken die Stöße des Trabs aufzufangen, sodass seine Hinterbacken und der Nacken nicht allzu sehr schmerzten, aber es blieb bei nutzlosen Versuchen.
    Stundenlang ging es so weiter. Die Pferde trabten oder fielen wieder in den Schritt zurück. Am Abend bog der Anführer von der Straße ab und ritt auf einem Ziegenpfad durch ein felsiges, von Büschen bewachsenes Stück Land auf eine Gruppe uralter Ölbäume zu. Unter dem größten Baum stieg er ab, betrachtete die Spuren alter Feuerstellen und ging weiter dorthin, wo sattgrünes Gras und Schilfhalme standen.
    »Wusste ich’s doch«, rief er. »Es gibt die Quelle noch immer. Hier rasten wir!«
    Sean sah schweigend zu, wie ein Reiter nach dem anderen unter den Ästen der Bäume anhielt und aus dem Sattel rutschte. Zuletzt band der Räuber, der vor ihm im Sattel gesessen hatte, ihn los und half ihm unwillig hinunter.
    Jerusalem war noch nicht zu sehen, aber sie schienen der Stadt bis auf wenige Stunden nahe gekommen zu sein. Mit schmerzenden Gliedern stolperte und wankte Sean zu einem Baumstamm und setzte sich auf eine dicke, knorrige Wurzel.
    Er unterdrückte ein Stöhnen. Es war angenehm, dass er seine Glieder endlich ausstrecken konnte. Der Anführer betrachtete die Pferde und die Männer, die ihre Satteltaschen abschnallten.
    Dann fragte er: »Absatteln oder nicht?« Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich an sein Pferd, das zwischen den Halmen und Disteln fraß. »Ich weiß es selbst nicht. Lohnt das, nur wegen der wenigen Stunden morgen?«
    »Zuerst kümmern wir uns um die Quelle«, antwortete einer der Räuber. »Wasser ist wichtiger als Bequemlichkeit.«
    »Füllt als Erstes die Ziegenbälge mit frischem Wasser, dann tränkt die Pferde!«, befahl der Anführer.
    Sean blieb sitzen und dachte, dass er bis heute noch aus jeder Falle und jedem Gefängnis entkommen konnte. Er würde es auch jetzt wieder versuchen. Er lehnte sich gegen den rissigen Stamm und sah zu, wie die fünf Männer das Nachtlager vorbereiteten. Sie beachteten ihn kaum. Sie waren wohl beruhigt, weil er bisher keinen Fluchtversuch gewagt hatte. Aber Sean dachte unablässig daran und malte sich aus, was wohl geschähe, wenn er fliehen würde.
    Die Entführer würden ihn auch ohne Pferde schnell wieder eingeholt haben. Davon ging Sean zunächst aus.
    Die Abendschatten füllten die Täler aus. Letztes Sonnenlicht lag nur noch auf den höchsten Hügeln. Es waren nun weniger Menschen auf der Straße, die ungefähr zwei Pfeilschüsse weit entfernt war. Die Räuber suchten trockenes Holz, füllten ihre Wasserschläuche, schnitten Schilf und führten die Pferde zur Tränke. Zwei Männer lösten Seans Handfesseln und begleiteten ihn zum Rand des Wäldchens, damit er sich erleichtern konnte. Sie bewachten ihn mit gezogenen Krummschwertern und brachten ihn anschließend wieder zurück.
    Inzwischen brannte ein kleines Feuer in einem Kreis aus rußigen Steinbrocken. Sean bekam genügend Wasser, ein Fladenbrot und steinharten Schafskäse. Er aß und trank, beobachtete seine Wächter und brauchte nicht lange zu warten, bis die Flammen vor ihm die einzige Lichtquelle waren. Sie beleuchteten die schmutzigen, bärtigen Gesichter der Männer; wenn er einen Spiegel gehabt hätte, hätte er gesehen, dass er ihnen gar nicht unähnlich sah.
    Sie fesselten seine Hände vor der Brust und sahen ihm fast gleichgültig zu, wie er sich im halb niedergetrampelten Gras, an einer Wurzel, ein Nachtlager suchte. Wenn er den Kopf drehte, konnte er gerade noch die Schattenrisse der Männer vor den winzigen Flammen sehen. Als das Feuer zu einem roten Glutnest niedergebrannt war, schlief er trotz
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