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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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vielen Menschen, die ihren täglichen Geschäften nachgingen, durch die Gassen treiben.
    »Hoffentlich bleibt es friedlich. Inshallah«, flüsterte er. »So Gott will.«
    Palästina und Syrien waren ebenso in der Hand der Mamelucken wie Jerusalem. Trotz der Versuche einiger Herrscher aus dem Abendland, neue Kreuzzüge zu beginnen, änderte sich im Heiligen Land und in Jerusalem nichts. Durch den regen Handel mit den muslimischen Mamelucken, hauptsächlich von Venedig und Genua aus, waren die Grenzen durchlässig, und aus diesem Grund lebten in Jerusalem Juden, Christen und Muslime meist friedlich zusammen. Die Mamelucken hatten in der Stadt eine Universität gegründet, die Tankiziya-Madrasa. Viele, wenn nicht die meisten Ärzte waren Juden. Aber Henri kannte in der Stadt keinen zweiten Christen, obwohl er glaubte, dass innerhalb und außerhalb der Mauern sich einige versteckten. Er achtete auf seine Schritte und darauf, niemanden anzurempeln, als er langsam weiterging und sich umsah.
    Noch vor wenigen Jahren hatten die Gassen und Straßen vertraute christliche Namen gehabt. Jetzt waren sie unkenntlich gemacht oder durch arabisch geschriebene Namen ersetzt worden. Henri blieb am Eingang zu einem kleinen Platz stehen, auf dem Marktstände aufgebaut waren. Für eine halbe Drachme kaufte er entkernte Datteln, die der Händler in ein nasses großes Blatt einwickelte. Henri dachte an den jungen Araber mit den brennenden Augen, den Uthman gesehen hatte, und er nahm einzelne Männer aus der Menschenmenge näher in Augenschein. In Schlangenlinien bewegte er sich durch das laute Getümmel und durch Schwaden starker Gerüche. Er wich einem Reiter aus und dann zwei hochbepackten Eseln und einem Bettler. Neben dem Eingang zur nächsten Gasse, die steil aufwärts führte, wuchs ein Baum, dessen Krone den halben Platz überschattete.
    Henri leckte sich die Finger ab, an denen noch der Saft der Datteln klebte, und ging durch den schmalen Durchlass, vorbei an geschlossenen Haustüren und winzigen Fenstern. Alle drei Schritte hob er den Kopf und suchte die Mauerkanten ab. Er sah nur flügelschlagende Tauben auf den Simsen trippeln und schritt beruhigt weiter bis zum Ende der Gasse. Sie mündete in eine breite, von Palmen bestandene Straße, die nach Norden führte. Links, hinter unzähligen Dächern und Türmchen, sah Henri die aufragenden Gebäude des Tempelbergs. Auf der Straße bewegten sich Karren und schwere Fuhrwerke, beladene Kamele und Esel zwischen den Bewohnern, die lautstark ihren Geschäften nachgingen. In der Hitze wallte Staub auf, der sich auf Palmenstämme und Wedel legte. Henri blieb im Schatten und prägte sich alles, was er sah, so genau wie möglich ein.
    Niemand beachtete ihn, er bemerkte keine misstrauischen Blicke oder Finger, die auf ihn zeigten. Die Stadt schien ruhig zu sein, die Bewohner waren offensichtlich friedlich. Wahrscheinlich gab es die üblichen Streitereien wie überall, wo Menschen zusammenlebten. Im Weitergehen versuchte er sich vorzustellen, welche endlos lange Geschichte von Aufbau, Kämpfen, Brand und Wiederaufbau, von wechselnder Herrschaft, Elend und neuem Schrecken die Stadt erlebt hatte. Jerusalem – die Heilige Stadt.
    Eine Stunde später wusch er sein Gesicht und die Hände an einem Brunnen. Als er sich umdrehte und sich mit den weiten Ärmeln seines Burnus abtrocknete, fing er einen kurzen Blick auf, der nur ihm gelten konnte. Es war ein junger Mann mit kurzem Bart und dunklen, flink umherschauenden Augen unter einem blauen Turban, der blitzschnell den Blick löste und einem aufflatternden Taubenschwarm nachsah. Es war einer jener Blicke, die Henri sofort alarmierten.
    Henri tat, als habe er den Fremden nicht gesehen und dessen Blick nicht bemerkt. Ohne Hast ging er weiter. Er hatte vor, in einem Bogen durch den Teil der Stadt, den er mehr oder weniger gut kannte, zu Joshuas Haus zurückzukehren und auf diesem Weg durch Hakenschlagen und geschicktes Verstecken in den Rücken seines mutmaßlichen Verfolgers zu gelangen. Der Mann fiel leicht auf, denn die meisten Leute hier waren kleiner als er.
    Henri ging um eine Palme herum, tauchte ins Gewimmel unter einem Säulengang ein und tastete nach seinem Dolch. Als er eine niedrige Mauer erreichte, hinter der ein offensichtlich verwilderter Garten wucherte, schwang er sich mit einem Satz darüber und duckte sich zwischen den dürren, staubbedeckten Zweigen und Blättern. Seine Blicke fuhren umher: Außer ihm war niemand in diesem Garten.
    Es
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