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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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Flaggen zu sein, aber dann bemerkte er, dass es Segel waren – leuchtend rote Segel, die tief im Herzen des kobaltblauen Feuers flatterten. Die Segel gehörten zu Hunderten von Barken mit ausladendem Rumpf, die sich auf einem breiten Fluss drängten. Ein beängstigend schwarzer Himmel, an dem sich Gewitterwolken ballten, spiegelte sich in der Wasserfläche. Jenseits des Flusses stemmten sich schiefe Türme gegen den herannahenden Sturm, und die Dächer duckten sich. Aus Bogenfenstern fiel schwaches orangefarbenes Licht. Kellens blaues Feuer enthielt eine ganze Stadt, ein Gewirr aus schmalen Gassen und Fachwerkhäusern, die oben breiter waren als unten. Aus einem Wald von Schornsteinen stiegen bedrohlich dichte Qualmwolken auf. Auf den Straßen ertönte ein markerschütterndes grausiges Geheule. Avi war froh, den Urheber dieses Geräuschs nicht sehen zu können.
    Die Flammen strömten auf ihn zu. Inzwischen knisterten sie nicht nur, sondern dröhnten. Im Inneren des Feuers nahm die alptraumhafte Stadt immer mehr Gestalt an und wurde wirklicher und wirklicher.
    Kellen stand mit ausgestreckten Armen vor der Szene und breitete weit den Mantel aus, um sich mit den Gewitterwolken über der Stadt zu vereinen. Er lachte.
    »Die Zeit ist um, Avi!«, rief er. »Du gehörst mir!«

Kapitel 4
    A ls Avi um sich trat, löste sich endlich die Bettdecke. Aber es war zu spät, die Flammen umzüngelten ihn. Wieder drückte er auf den Knopf. Warum sprang der Feueralarm denn nicht an? Und was war mit der Sprinkleranlage?
    Weil das kein normales Feuer ist, Blödmann, sagte er sich.
    Auf dem Nachttisch stand das Wasserglas, das die Schwester ihm gebracht hatte. Er griff danach, nicht weil er glaubte, dass es sich als Waffe eignete, sondern nur um irgendetwas zu unternehmen.
    Er holte aus und goss das Wasser in die Flammen. Ein kläglicher Versuch, denn das Feuer schien sich dem Wasser regelrecht entgegenzustrecken, als es durch die Luft spritzte. Fast konnte er hören, wie es ihn verhöhnte.
    Und dann traf das Wasser Kellen.
    Der hochgewachsene Mann mit dem seltsamen Gesicht wich erschrocken einen Schritt zurück. Er zitterte am ganzen Leibe. Trotz der Hitze des Feuers hatte er noch immer ein paar Eiszapfen an den Schultern seines Gewands. Als das Wasser ihn berührte, zerbarst jeder einzelne Eiskristall in einer winzigen, lautlosen Explosion. Kellens dreifingrige Hände verkrampften sich zu knorrigen Fäusten, und er fing an zu schreien.
    Die Flammen wurden allmählich schwächer.
    Ohne auf Kellens grausiges Stöhnen zu achten, schleuderte Avi die Decke weg und sprang aus dem Bett. Allerdings hatte er den Gipsverband am rechten Bein vergessen – ebenso wie die Tatsache, dass seine Muskeln nach drei reglos verbrachten Tagen völlig steif waren. Also landete er mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Nach Luft schnappend lag er da, während das blaue Feuer zornig in dem leeren Bett züngelte.
    Steh auf! Steh auf! Steh auf!
    Als er sich am Nachttisch hochzog, fuhr ihm ein Schmerz durchs rechte Bein. Er humpelte zum Nachbarbett, wo ein etwa gleichaltriger Jugendlicher tief und fest schlief und von all dem nichts mitbekam.
    Inzwischen hatte Kellen aufgehört zu schreien und lag, zu einem schwarzen Bündel zusammengerollt, auf dem Boden. Avi wagte nicht, sich umzuschauen. Stattdessen hinkte er zum nächsten Bett, wo ein Rollstuhl stand. Er setzte sich rasch hinein, löste die Bremse und rollte den Mittelgang entlang. Der Rollstuhl quietschte wie Fosters Wagen.
    Avi sauste den Gang entlang. Offenbar hatte das Tohuwabohu keinen einzigen seiner Mitpatienten geweckt. Was war nur los mit diesen Leuten? Und warum war das Schwesternzimmer unbesetzt? Doch er hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn vor ihm befand sich eine sehr stabil wirkende, doppelflügelige Schwingtür.
    Avi prallte dagegen, ohne innezuhalten. Als er mit dem Gipsbein anstieß, musste er vor Schmerzen die Zähne zusammenbeißen, aber die Tür öffnete sich, und er manövrierte den Rollstuhl hindurch. Er hörte, wie Kellen hinter ihm zornig und gequält seinen Namen rief.
    Avi blickte nach links und rechts. In beide Richtungen verliefen identische Flure, die im grellen Licht länger wirkten, als sie es waren. Er entschied sich für den linken und drehte wieder so schnell wie möglich an den Rädern. Unzählige Türen glitten vorbei, die zu geheimnisvollen Abteilungen mit unaussprechlichen Namen führten. Doch er achtete nicht auf sie, denn er hatte am Ende des
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