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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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dem Mund.
    Avi wusste sofort, wen er vor sich hatte.
    »Kellen.«
    »In der Tat«, entgegnete der Mann und trat vor. Als er die Kapuze zurückschlug, kam ein wettergegerbtes Gesicht zum Vorschein, das fast edel gewirkt hätte, wären die Gesichtszüge nicht so übertrieben ausgeprägt gewesen. Die kleinen, tiefliegenden Augen standen zu dicht beieinander, Stirn, Kinn und Wangenknochen traten zu stark hervor. Avi wurde mulmig bei seinem Anblick. »Es wundert mich, dass du mich erkennst, Avi. Meine Kundschafter haben mir mitgeteilt, dass dir einige wichtige Erinnerungen fehlen. Aber das spielt keine Rolle. Dein Gedächtnis wird sich schon wieder erholen. Aber jetzt ist es Zeit für dich, mit mir zurückzukehren.«
    »Zurückkehren?«, fragte Avi. »Wohin?«
    Als Kellen lächelte, fiel die aristokratische Fassade, so dass nur noch eiskalte Berechnung blieb. »Nach Hause natürlich.«
    Zitternd zog Avi die Bettdecke hoch. Nirgendwo war eine Schwester in Sicht.
    »Du hast mich verfolgt«, entgegnete Avi bemüht tapfer. »Man hat mich vor dir gewarnt.«
    Kellen verzog verächtlich die Lippen. »Gewarnt? Wer war es?«
    »Das spielt keine Rolle.« Der muffige Gestank wurde schlimmer. Avi verfluchte den Gipsverband an seinem rechten Bein, der ihn daran hinderte, sein Glück in der Flucht zu suchen. Dann jedoch fiel ihm der Notrufknopf an seinem Bett ein. Er musste Kellen nur weiter am Reden halten. »Weißt du was? Wenn du mir ein paar Fragen beantwortest, komme ich mit.«
    »Für Fragen ist auch noch später Zeit. Wir müssen sofort aufbrechen.«
    Avis Finger näherte sich dem Knopf. »Warum?«
    Als Kellen mit den Achseln zuckte, fiel Eis von seinem Gewand auf den Boden. »Weil ich es satt habe, dir nachzujagen. Und weil dir nichts anderes übrigbleibt. Diesmal kannst du dich nicht durch einen unterirdischen Gang flüchten.«
    Avis Hand hatte den Knopf erreicht. Er presste die Handfläche darauf und wartete auf das Alarmsignal, das die Schwestern herbeirufen würde. Aber es geschah nichts, und keine Schwester ließ sich blicken.
    Kellen trat um das Bett herum und streckte den langen Arm aus, bis sich seine knochigen Hände um Avis schlossen.
    Er hatte an jeder Hand nur drei Finger, was nicht daran lag, dass die anderen amputiert worden oder einem Unfall zum Opfer gefallen wären. Auch die Fingerknöchel fehlten. Kellen war verkrüppelt. Avi zuckte zusammen.
    »Unartiger Junge«, sagte Kellen und nahm Avis Hand vom Knopf. Je näher er kam, desto übler wurde der Geruch. Avi überlegte, ob er laut um Hilfe rufen sollte, beschloss aber, auf Zeit zu spielen. Hatte der Mann im Fernseher ihm nicht versprochen, sich sofort auf den Weg zu machen?
    »Verrate mir einfach, was du willst«, sagte Avi. »Wenn ich schon mitkommen muss, sollte ich wenigstens erfahren, worum es geht.«
    »Du bist nicht in der Position zu verhandeln. Aber ich erkläre dir so viel: Ich bin hier, weil ich das Recht dazu habe. Man hat mich getäuscht, Avi, und nun ist die Zeit der Vergeltung da. Dich mitzunehmen, ist nur der erste Schritt.«
    »Ich verstehe kein Wort!«, rief Avi. Er hatte die Stimme erhoben, nicht nur, um die Schwestern zu alarmieren, sondern weil er allmählich genug hatte. Je länger er in diesem Krankenhaus lag, desto verworrener wurde die Situation. Vielleicht würde er endlich Klarheit bekommen, wenn er Kellen begleitete. Nur dass es ihm nicht sehr ratsam erschien, Kellen irgendwohin zu begleiten. Ganz im Gegenteil.
    »Das weiß ich«, erwiderte Kellen. »Aber irgendwann wirst du es begreifen.«
    Er ließ Avis Hand los und wies auf die Decken am Fußende des Bettes. Blaue Flammen züngelten aus seinen Fingern und verteilten sich, plätschernd wie Wasser, auf dem Laken. Das Laken fing jedoch kein Feuer. Knackend und knisternd sprangen die Flammen hin und her, so dass Avi die Arme schützend vors Gesicht hob. Er spürte, wie die Hitze seine Handflächen versengte, während er an den Füßen, die von Flammen umgeben waren, keine Schmerzen empfand. Auch der Brandgeruch blieb aus – nur der muffige höhlenartige Gestank, den Kellen mitgebracht hatte, war stärker denn je.
    Als Kellen die Hände hob, folgten die Flammen und bildeten einen wellenschlagenden blauen Vorhang. Der Vorhang bauschte sich. Avi strampelte mit den Beinen und versuchte, aus dem brennenden Bett zu klettern, doch die festgesteckten Laken hinderten ihn daran.
    In den Flammen bewegte sich etwas, und Avi stellte fest, dass erkennbare Umrisse entstanden. Anfangs schienen es
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