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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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irregeführt.
    ›Wirklich,‹ sagte er sich, als er nicht einschlafen konnte, ›es gibt solche Dramen in der Welt; die Gesellschaft bedeckt solche Greuel mit der Blüte ihrer Eleganz, mit dem bunten Gewirk ihrer Nachrede, mit dem Witz ihrer Berichte. Wir erfinden stets nur die Wahrheit. Die arme Diana! Michel hatte dieses Rätsel vorausgeahnt, er sagte, es gäbe unter dieser Eisschicht Vulkane! Und Bianchon und Rastignac haben recht: wenn ein Mann die Größe des Ideals und die Genüsse der Begierden vereinigen kann, indem er eine Frau von guter Lebensart liebt, eine Frau von Geist und Takt, so muß das ein namenloses Glück sein.‹ Und er sondierte in seinem Innern seine Liebe und fand, daß sie unendlich war.
    Am folgenden Tage kam, getrieben von einem Übermaß der Neugier, Frau d'Espard, die die Fürstin seit mehr als einem Monat nicht mehr gesehen und kein einziges verräterisches Wort von ihr gehört hatte. Nichts konnte lustiger sein, als die erste halbe Stunde der Unterhaltung dieser beiden feinen Schlangen. Diana d'Uxelles hütete sich davor, von d'Arthez zu reden, wie sie sich davor hütete, ein gelbes Kleid zu tragen. Die Marquise schweifte um dieses Thema herum, wie ein Beduine eine reiche Karawane umschweift. Diana amüsierte sich, die Marquise war wütend. Diana wartete; sie wollte ihre Freundin ausnutzen und sich in ihr einen Jagdhund schaffen. Von diesen beiden in der gegenwärtigen Gesellschaft so berühmten Frauen war die eine stärker als die andere. Die Fürstin überragte die Marquise um Haupteslänge, und die Marquise erkannte innerlich diese Überlegenheit an. Vielleicht lag darin das Geheimnis dieser Freundschaft. Die Schwächere schmiegte sich in ihre falsche Anhänglichkeit hinein, um der von allen Schwachen so lange erharrten Stunde zu warten, in der sie der Stärkeren an die Kehle springen konnte, um ihr das Mal eines frohlockenden Bisses aufzuprägen. Diana sah das sehr wohl. Die ganze Welt ließ sich von den Schmeicheleien dieser beiden Freundinnen täuschen.
    In dem Augenblick, als die Fürstin auf den Lippen ihrer Freundin die Frage erkannte, sagte sie: »Nun, meine Liebe, ich verdanke Ihnen ein vollkommenes, unermeßliches, unendliches, himmlisches Glück.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Entsinnen Sie sich, was wir vor drei Monaten in diesem kleinen Garten auf der Bank und im Sonnenschein unter dem Jasmin besprachen? Ach, nur die genialen Männer verstehen zu lieben. Gern würde ich auf meinen Daniel d'Arthez das Wort des Herzogs von Alba an Katharina von Medici anwenden: ›Der Kopf eines einzigen Salms wiegt die Köpfe aller Frösche auf.‹« »Ich wundere mich nicht mehr darüber, daß ich Sie niemals sehe,« sagte Frau d'Espard. »Versprechen Sie mir, wenn Sie ihn sehen, ihm kein Wort über mich zu sagen, mein Engel,« sagte die Fürstin, indem sie die Marquise bei der Hand ergriff. »Ich bin glücklich, oh, glücklich über alle Worte hinaus, und Sie wissen ja, wie weit in der Gesellschaft ein Wort, ein Scherz gehen kann! Ein Wort tötet, so viel Gift kann man hinein tun! Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Ihnen seit acht Tagen eine gleiche Leidenschaft gewünscht habe! Kurz, es ist süß, es ist ein schöner Triumph für uns Frauen, unser Frauenleben in einer glühenden, reinen, hingebenden, ganzen Liebe zu beschließen und in ihr einzuschlafen, zumal wenn man sie so lange gesucht hat.« »Weshalb bitten Sie mich, meiner besten Freundin treu zu sein?« fragte Frau d'Espard. »Halten Sie mich für fähig, Ihnen einen schlimmen Streich zu spielen?« »Wenn eine Frau einen solchen Schatz besitzt, so ist die Furcht, ihn zu verlieren, eine so natürliche Empfindung, daß sie Gedanken der Furcht einflößt. Ich bin absurd, vergeben Sie mir, meine Liebe.«
    Ein paar Minuten darauf ging die Marquise; und als die Fürstin sie gehen sah, sprach sie bei sich selber: ›Wie sie mich zurichten wird! Und wenn sie nur alles über mich sagen möchte! Doch um ihr die Mühe zu ersparen, daß sie Daniel hier erst herausreißen muß, werde ich ihn zu ihr schicken.‹
    Um drei Uhr, nur ein wenig später, kam d'Arthez. Mitten in einer interessanten Rede schnitt die Fürstin ihm das Wort ab, indem sie ihm die schöne Hand auf den Arm legte. »Verzeihung, mein Freund,« sagte sie, indem sie ihn unterbrach, »aber ich würde vergessen, was ich sagen wollte; es scheint eine Albernheit zu sein und ist doch von der höchsten Wichtigkeit. Sie haben seit dem tausendfach glücklichen Tage, an dem ich
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