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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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als käme sie abends wieder und müßte am folgenden Tage zum drittenmal stürzen. Mich friert, während ich mit Ihnen rede und während ich in die kalte und düstere Höhle ohne Ausgang hineinleuchte, in der ich gelebt habe. Wenn ich Ihnen alles sagen muß – die Geburt meines Kindes, das übrigens mein zweites Ich ist... Seine Ähnlichkeit mit mir wird Ihnen aufgefallen sein? Er hat mein Haar, meine Augen, den Schnitt meines Gesichts, meinen Mund, mein Lächeln, mein Kinn, meine Zähne... Nun, seine Geburt ist ein Zufall oder das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen meiner Mutter und meinem Gatten. Ich bin noch lange nach meiner Hochzeit Mädchen geblieben; ich wurde gleichsam am Tage darauf verlassen; ich war Mutter, ohne Frau zu sein. Die Herzogin gefiel sich darin, meine Unwissenheit zu verlängern; und wenn eine Mutter dieses Ziel erreichen will, hat sie ihrer Tochter gegenüber grauenhafte Vorteile. Ich, die arme Kleine, die wie eine mystische Rose in einem Kloster aufgezogen worden war, ich wußte nichts von der Ehe; ich war spät entwickelt und fand mich sehr glücklich; ich freute mich des guten Einvernehmens und der Harmonie in unserer Familie. Endlich wurde ich von dem Gedanken an meinen Gatten – er gefiel mir nicht sehr und tat nichts, um sich liebenswürdig zu zeigen – durch die ersten Freuden der Mutterschaft vollkommen abgelenkt: diese Freuden waren um so größer, als ich vom Dasein anderer nichts ahnte. Man hatte mir so oft in die Ohren gesungen, wieviel Achtung eine Mutter sich selber schulde! Und außerdem liebt es jedes junge Mädchen, »die Mama zu spielen«. In meinem damaligen Alter ersetzt ein Kind beinahe die Puppe. Ich war so stolz darauf, daß ich diese schöne Blume hatte – denn Georg war schön, er war ein Wunder! Wie sollte man an die Welt denken, wenn man das Glück hat, einen kleinen Engel zu nähren und zu pflegen? Ich bete die Kinder an, wenn sie ganz klein, weiß und rosig sind. Ich sah nur meinen Sohn, ich lebte mit meinem Sohn, ich duldete nicht, daß seine Bonne ihn an- und auszog oder ihn umlegte. Diese Sorgen, die für die Mütter so langweilig sind, wenn sie ganze Regimenter von Kindern haben, waren für mich nichts als ein Vergnügen. Aber nach drei oder vier Jahren drang endlich, trotz der Sorgfalt, mit der man mir die Augen verband, da ich nicht gerade dumm bin, das Licht bis zu mir durch. Sehen Sie mich beim Erwachen, vier Jahre darauf, 1819! ›Die beiden feindlichen Brüder‹ sind eine Rosenwassertragödie neben einer Mutter und einer Tochter in unserer gegenseitigen Lage, neben der Herzogin und mir; da forderte ich sie beide, meine Mutter und meinen Gatten, durch öffentliche Koketterien heraus, über die die Welt geredet hat... Gott weiß, wie es ging! Sie begreifen, mein Freund, daß die Männer, mit denen man mich der Leichtfertigkeit verdächtigte, für mich den Wert eines Dolches hatten, dessen man sich bedient, um einen Feind zu treffen. Ich dachte nur an meine Rache und fühlte die Wunden nicht, die ich mir selber schlug. Ich war unschuldig wie ein Kind, und ich galt als eine perverse Frau, als die schlechteste Frau der Welt, und wußte nichts davon. Die Welt ist dumm, blind und unwissend; sie durchschaut nur die Geheimnisse, die sie amüsieren, die ihrer Bosheit dienen; die größten Dinge, die edelsten, die will sie nicht sehen, und deshalb hält sie sich die Hand vor die Augen. Aber mir ist, als müßte ich um jene Zeit Blicke gezeigt haben, Haltungen empörter Unschuld, Bewegungen des Hochmuts, deren Anblick für große Maler Glücksfälle gewesen wären. Ich muß Bälle durch die Gewitter meines Zornes, durch die Gießbäche meiner Verachtung erleuchtet haben. Verlorene Poesie! Solche Gedichte macht man nur in der Entrüstung, die uns mit zwanzig Jahren packt! Später entrüstet man sich nicht mehr; da wird man müde; man erstaunt nicht mehr über das Laster, man ist feige, man hat Angst. Ich, ich trieb es bunt, oh, sehr bunt! Ich spielte die dümmste Rolle der Welt: ich habe die Last des Verbrechens getragen, ohne seine Vorteile zu haben. Es machte mir so viel Vergnügen, mich zu kompromittieren. Ach, ich habe Kinderstreiche gespielt! Ich bin mit einem jungen Leichtfuß nach Italien gereist und habe ihn sitzen lassen, als er mir von Liebe sprach; aber als ich erfuhr, daß er sich um meinetwillen kompromittiert hatte – er hatte eine Fälschung begangen, um Geld zu bekommen –, da eilte ich herbei, um ihn zu retten. Meine Mutter und mein Gatte,
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