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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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gewissermaßen den Schleier genommen hatte, indem sie sich in ihrem Hause einschloß. Dieser Beweis guten Geschmacks war für sie ein noch ungeheureres Opfer, als er es für jede andere Frau gewesen wäre. Große Dinge werden in Frankreich stets so lebhaft empfunden, daß die Fürstin sich durch ihre Abschließung alles zurückgewann, was sie in der öffentlichen Meinung zur Zeit ihres höchsten Glanzes verloren hatte. Sie verkehrte nur noch mit einer einzigen ihrer ehemaligen Freundinnen, mit der Marquise d'Espard; und sie besuchte auch bei ihr niemals die großen Gesellschaften oder die Feste. Die Fürstin und die Marquise sahen sich in den frühen Morgenstunden und gleichsam heimlich. Wenn die Fürstin bei ihrer Freundin speiste, schloß die Marquise ihre Tür. Frau d'Espard benahm sich rührend gegen die Fürstin. Sie wechselte in der Italienischen Oper die Loge und nahm statt jener im ersten Rang eine Parterreloge, so daß Frau von Cadignan ungesehen ins Theater kommen und es unerkannt verlassen konnte. Wenige Frauen wären eines Feingefühls fähig gewesen, das sie des Vergnügens beraubte, eine gestürzte einstige Rivalin in ihrem Gefolge hinter sich her zu führen und sich ihre Wohltäterin zu nennen. So brauchte die Fürstin keine Toilette zu machen, die sie zugrunde gerichtet hätte, und fuhr heimlich im Wagen der Marquise mit, obwohl sie ihn öffentlich niemals angenommen hätte. Die Gründe, die Frau d'Espard für dieses ihr Verhalten der Fürstin von Cadignan gegenüber hatte, sind niemals bekannt geworden; aber auf jeden Fall war es heroisch und bedingte lange Zeit hindurch eine Fülle von kleinen Opfern, die einzeln gesehen als Kindereien erscheinen, in ihrer Gesamtheit aber etwas Gigantisches haben. 1832 hatten drei Jahre ihre Schneemassen über die Abenteuer der Herzogin von Maufrigneuse gedeckt und sie so weiß gewaschen, daß es großer Anstrengungen des Gedächtnisses bedurfte, wenn man sich der schweren Verschuldungen ihrer Vergangenheit erinnern wollte. Von jener Königin, die so viele Höflinge angebetet hatten und deren leichtsinnige Streiche die Kosten mehrerer Romane bestreiten konnten, war nichts übriggeblieben als eine noch entzückend schöne Frau; sie war sechsunddreißig Jahre alt und brauchte doch erst dreißig zuzugeben, obwohl sie die Mutter des Herzogs Georg von Maufrigneuse, eines jungen Mannes von neunzehn Jahren, war. Dieser Sohn war schön wie Antinous und arm wie Hiob; seine Zukunft mußte ihm deshalb die größten Erfolge bescheren, und seine Mutter wollte ihn vor allem reich verheiraten. Vielleicht war diese Absicht das Geheimnis ihrer Vertraulichkeit mit der Marquise, deren Salon als der erste von Paris galt und bei der sie sich eines Tages unter den Erbinnen eine Frau für Georg aussuchen konnte. Noch sah die Fürstin fünf Jahre vor sich, ehe ihr Sohn heiraten konnte; öde und einsame Jahre, denn wenn eine gute Heirat zustande kommen sollte, mußte ihr Verhalten den Stempel der Klugheit tragen.
    Die Fürstin bewohnte in einem Hause der Rue de Miromesnil ein billiges Erdgeschoß. Dort hatte sie die Überreste ihres einstigen Prunkes zur Geltung gebracht. Immer noch lag über ihren Räumen der Hauch jener Eleganz der großen Dame. Sie war von all den schönen Dingen umgeben, die auf ein Dasein der Höhe deuten. Über ihrem Kamin hing ein wundervolles Miniaturgemälde von Frau von Mirbel, ein Bildnis Karls X., das in seinem Rahmen die Worte: ›Geschenk des Königs‹ eingegraben trug. Das Seitenstück dazu bildete ein Bildnis der Königin, die sich ihr gegenüber so besonders liebenswürdig gezeigt hatte. Auf einem Tisch prunkte ein Album von allerhöchstem Wert, wie es keine der Bürgersfrauen, die augenblicklich in unserer industriellen und lärmenden Gesellschaft thronen, auszulegen wagen würde. Eine solche Verwegenheit kennzeichnete die ganze Frau wunderbar. Das Album enthielt Bildnisse, unter denen sich etwa dreißig vertraute Freunde befanden, die die Welt ihre Liebhaber genannt hatte. Diese Zahl war eine Verleumdung; höchstens bei zehn von ihnen handelte es sich, wie die Marquise d'Espard sagte, um eine vielleicht begründete Nachrede. Die Bildnisse Maximes de Trailles, de Marsays, Rastignacs, des Marquis d'Esgrignon, des Generals de Montriveau, des Marquis von Ronquerolles und d'Ajuda-Pinto, des Fürsten Galathionne, der jungen Herzoge von Grandlieu und Rhétoré, des schönen Lucien von Rubempré und des jungen Vicomte von Sérizy waren übrigens von den
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