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Die geheime Sammlung

Die geheime Sammlung

Titel: Die geheime Sammlung
Autoren: Polly Shulman
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und zog sich den Mantel an. »Ich komme mit.«
    »Ja, komm mit, Aaron!«, sagte Jaya und zwinkerte mir zu.
    »Danke – aber ich kann den Weg inzwischen selbst finden«, schnarrte ich, während ich mir wünschte, weit weg oder tot zu sein.
    »Nein, kann sie nicht«, sagte Jaya. »Du musst unbedingt mitkommen.«
    Ich widersprach nicht weiter, aber draußen zeigte ich beiden den Ring, Jaya probierte ihn sofort aus. »Mensch, der ist ja klasse«, sagte sie. »Geht es da lang zum Madison Square Garden?«
    »Nicht direkt, aber da lang geht es zur U-Bahn. Die müsstest du nehmen, um in die Innenstadt zu fahren. Bekomme ich meinen Ring zurück?«
    Schließlich kamen wir zur Wohnung der Raos. »Tschüss, Jaya«, sagte Aaron.
    »Tschüss, Aaron. Tschüss, Elizabeth. Viel Spaß.«
    Aaron und ich gingen schweigend weiter zur U-Bahn. »Wir sehen uns nächste Woche«, sagte ich.
    »Bis nächste Woche.« Es sah aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber dann überlegte er es sich anders und schwieg.
    »Also, tschüss.«
    »Tschüss.«
    Ich musste mich sehr fest auf den Ring konzentrieren, um auf das richtige Gleis zu kommen. Wenn ich auch nur für eine Sekunde abgelenkt war, zog er mich nach Westen. Hinter Aaron her, der den Bus durch den Park nahm.
     
    In der kommenden Woche wurde es plötzlich und unerwartet Frühling. Der Schnee schmolz, stieß einen letzten Seufzer aus und verschwand im Gully. Krokusse reckten ihre lilafarbenen Köpfe neben den Bäumen auf dem Bürgersteig aus dem Boden. Die Lehrer sprachen von den Halbjahreszeugnissen.
    Am Mittwoch setzte Ms.Callender mich zusammen mit Josh in Magazin 7 , der Kunstsammlung, ein. Es war recht ruhig, und das war auch gut so – ich musste einen Dialog für Französisch auswendig lernen. Mein Ring wollte, dass ich ein paar Stockwerke nach oben zu Aaron ging, der in Magazin 10 , Naturwissenschaften und Medizin, arbeitete. Aber als ich in der Pause nach ihm sah, war er nicht da. Also ging ich stattdessen zum Central Park und unterhielt mich mit dem schmelzenden Schnee.
    Samstagabend saß ich gerade an den Mathe-Hausaufgaben, als es plötzlich ans Fenster klopfte. Es klang wie ein Zweig, der über die Fensterscheibe strich. Ich schaute hoch und sah einen dunklen Schatten. Es lief mir kalt den Rücken runter.
    Sei nicht albern, sagte ich mir – Mr.Stone ist im Nirgendwo, und mit dem finsteren, bedrohlichen Schatten in der Luft bist du jetzt befreundet.
    Wieder ein Klopfen. »Polly?«, sagte ich und öffnete das Fenster weit. »Bist du das?« Ich fragte mich, wie sie aus dem Garten der Jahreszeiten herausgekommen war.
    »Hallo, Elizabeth.« Es war Aaron. Er saß im Schneidersitz auf einem fliegenden Teppich.
    »Aaron! Was machst du denn hier?«
    »Ich habe mich gefragt, ob du gerade was Wichtiges machst.«
    »Mathe-Hausaufgaben, warum?«
    »Kommst du mit auf einen kleinen Ausflug?«
    »Jetzt?«
    »Nein, gestern. Selbstverständlich jetzt.«
    »Äh … klar.« Ich zog mir einen zusätzlichen Pullover über und öffnete das Fenster ganz weit.
    Aaron schmiegte den Teppich gegen die Hauswand und streckte die Hand aus. »Vorsichtig«, sagte er.
    Seine Hand war kalt, aber fest. Ich trat heraus und setzte mich rasch hin. Der Teppich gab nach wie ein Wasserbett.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Aaron. »Es ist leichter, im Gleichgewicht zu bleiben, wenn du dich ganz tief hineinsinken lässt.« Er schickte den Teppich aufwärts.
    Ich lag auf dem Rücken und schaute zu den Sternen. Der zunehmende Mond ließ die Wolken erglühen. Aaron legte sich neben mich, und ich drehte mich etwas zu ihm hin. Er legte seinen Arm ungeschickt um mich und nahm ihn wieder weg. Nach einer Minute drehte ich mich wieder zu ihm und lehnte mich gegen ihn.
    »Ist dir kalt? Ich habe Decken dabei.«
    »Mir geht’s gut. Wohin fliegen wir?«
    »Wohin du willst. Der Greenwood-Friedhof? Der Battery Park? Zum Hudson

    »Wie wäre es mit dem Museum The Cloisters?«
    »Gern.«
    Der Wind fuhr durch mein Haar und zupfte am Teppichrand. Ich drehte mich auf den Bauch und schaute herunter, wo die Gebäude unter uns dahinrasten. Aaron legte mir wieder die Hand auf den Rücken.
    »Was hast du als Pfand hinterlassen? Für den Teppich?«
    »Meinen Sinn für Humor.«
    »O Mann. Das ist der älteste Witz im Repositorium.«
    »Selbstverständlich. Da ich meinen Sinn für Humor verloren habe, kann ich keine lustigen Witze mehr erzählen. Ist doch klar.«
    »Dein Sinn für Humor hat sich aber nicht sehr verändert. Und was hast du
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