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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise
Autoren: Isabel Abedi
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wie man sein Styling, seine Klamotten und seine Frisur aufbrezeln konnte, bis man äußerlich perfekt war.
    »Tut mir Leid, mit der Klassenfahrt«, sagte Britta nach endlosen Minuten.
Wanja klappte die Zeitschrift zu. »Mir auch. Das mit dem Typen war wirklich keine Absicht. Der hat mich einfach angequatscht. Ich hätte nie …«
»Ich weiß. Er war sowieso ein Idiot.« Britta verzog das Gesicht, dann wechselte sie unvermittelt das Thema. »Mein Vater hat eine andere. Seit Monaten schon. Wie bescheuert war ich, das nicht zu merken. Seine Sprechstundenhilfe. Er wohnt jetzt bei ihr. Dieser …« Britta presste die Lippen aufeinander und starrte auf die Tischplatte, »dieser miese Schweinehund. Das verzeih ich ihm nie. NIE. Er hat mich einfach sitzen lassen.« Britta fing zu weinen an, und als Wanja ihre Hand berührte, kam sie näher, vergrub ihr Gesicht an Wanjas Schulter und schluchzte, schluchzte.
Wanja legte ihre Arme um sie. Warum waren es oft die traurigen Momente, in denen man sich einem Menschen nah fühlte?
»Und was wird mit euch?« Wanja fischte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche. »Könnt ihr hier wohnen bleiben?«
Britta schnäuzte sich, streckte die Brust vor und machte ein trotziges Gesicht. »Wenn er sich einbildet, wir ziehen hier aus, dann hat er sich geschnitten. Ich gehe hier jedenfalls nicht weg und Alina auch nicht.«
Wanja musste lächeln, als sie an Brittas kleine Schwester dachte. »Wie geht es ihr denn damit?«
Britta zuckte die Achseln. »Ich glaub, die kapiert das alles noch gar nicht richtig. Aber sie kann wenigstens froh sein, dass sie ihn los ist. Jetzt wird sie wenigstens nicht ständig angemeckert.«
Wanja nickte. Es war das erste Mal, das Britta sich auf die Seite ihrer Schwester und gegen ihren Vater stellte.
Britta schob ihren Stuhl zurück und sah Wanja an. »Du kannst jedenfalls froh sein, dass du deinen Vater nicht kennst.«
Wanja gab darauf keine Antwort.
Frau Sander begleitete sie noch zur Tür und zum Abschied reichte Wanja ihr die Hand. »Kann ich nächste Woche wieder mal zum Essen kommen?« Frau Sanders Augen schimmerten. »Du bist willkommen, Wanja, jederzeit.«
    Flora war es, die Wanja zum Flughafen fuhr, und als Wanja aus dem Haus ging, trug Jo Schwarz und sah noch schmaler aus als sonst. Mehr als ein Kopfnicken brachte sie nicht zu Stande und Wanja fühlte, dass sie ihr nachsah, noch als Floras Auto um die Ecke bog. Um Viertel nach drei kamen sie am Flughafen an. Wanja hatte darauf gedrängt, früher zu fahren.
    »Kommst du zurecht? Oder soll ich mit dir kommen?« Wanja schüttelte entschlossen den Kopf, obwohl ihre Beine zitterten. Sie grinste Flora tapfer an. »Danke. Bis dann.«
    Bis zur Landung blieb noch über eine Dreiviertelstunde Zeit. Als sich Wanja auf einen der Stühle vor dem Gate setzte, nahm sie nichts und niemanden mehr wahr. Minutenlang spielte sie mit dem Reißverschluss ihrer Sweatshirtjacke herum, kaute auf ihrer Haarsträhne, spuckte sie aus, angelte erneut danach, und als der Uhrzeiger endlich auf Viertel vor vier rückte, krallte sie ihre Finger neben sich in die Lehne, die sich seltsam warm und weich anfühlte.
    »Ich wäre dir dankbar, wenn du deine Krallen aus meinem Arm nehmen könntest«, sagte eine vertraute Stimme neben ihr.
    Wanja fuhr herum und riss die Augen auf. »Mischa?!« Ungläubig starrte sie ihren Freund an. »Was machst du denn hier?«
    Mischa grinste. »Ich hole meinen Vater ab.«
Wanja sprang von ihrem Sitz auf. Ihr Kopf war ein einziges Durcheinander, gleichzeitig spürte sie, wie ihr irgendwo ein Licht aufging.
» Deinen Vater?«
Mischa zog wortlos etwas aus seiner Jacke hervor. Es war eingewickelt in dünnes Packpapier. Wanja schlug das Papier auf, sah auf Jolans Porträt, begriff und begriff doch nicht.
»I-ich«, stotterte sie. »Ich versteh nicht. … wo, von wem … woher hast du das?«
Mischa grinste noch breiter. »Von meinem Vater. Jolan Berger.«
Wanja starrte das Bild an, die runden Augen, das schmale Gesicht, der traurige Zug um den Mund … das große, dunkle … Muttermal!
Sie machte einen Satz auf Mischa zu, fegte ihm die Haare aus der Stirn – und schnappte nach Luft. Nur einmal hatte sie das Muttermal bei ihm wahrgenommen, vor einem Jahr, als sie ihn nach der Vorstellung im Zirkus am Tisch beobachtet hatte. Damals hatte er sich selbst das Haar aus dem Gesicht gestrichen. Wanja sank zurück auf den Stuhl. »Ich versteh das alles nicht«, flüsterte sie. »Seit wann … seit wann, weißt du das?«
Mischa
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