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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Autoren: Donna Tartt
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diesen ersten Tagen, wie ich es wirklich noch nie gewesen war, als ich nun wie ein Schlafwandler umherstreifte, benommen und trunken von lauter Schönheit. Eine Gruppe rotwangiger Mädchen mit flatternden Pferdeschwänzen beim Fußballspielen, ihr Rufen und Lachen, das schwach über das samtige, zwielichtige Feld wehte. Bäume, knarrend unter der Last der Äpfel, und Fallobst, rot im Gras darunter, das mit schwerem, süßem Duft verfaulte, und das stete Summen der Wespen ringsum. Der Uhrturm am Commons: efeubedeckte Ziegelmauern, ein weißer Turm, wie verzaubert in diesiger Ferne. Der Schreck, als ich das erstemal nachts eine Birke sah, wie sie in der Dunkelheit vor mir aufragte, kühl und schlank wie ein Geist. Und die Nächte von unvorstellbarer Majestät: schwarz und windig und gewaltig, ungeordnet und wild die Sterne.
     
    Ich hatte vor, mich wieder für Griechisch einzuschreiben – es war die einzige Sprache, die ich ein wenig beherrschte. Aber als ich das dem Studienberater sagte, dem man mich zugewiesen hatte – einem Französischlehrer namens George Laforgue mit olivfarbener Haut und einer schmalen Nase mit länglichen Nasenlöchern wie bei einer Schildkröte –, da lächelte er nur und drückte die Fingerspitzen zusammen. »Ich fürchte, da kann es ein Problem geben«, sagte er, und sein Englisch hatte einen Akzent.
    »Wieso?«
    »Es gibt nur einen Lehrer für Altgriechisch hier, und er ist sehr eigen mit seinen Studenten.«
    »Ich habe zwei Jahre Griechisch gelernt.«
    »Das wird wahrscheinlich keinen Unterschied ausmachen. Außerdem, wenn Sie Ihr Examen in englischer Literatur machen wollen, brauchen Sie eine moderne Sprache. Es ist immer noch Platz in meinem Grundkurs Französisch, und bei Deutsch und Italienisch läßt sich auch noch etwas machen. Die Spanischklassen« – er konsultierte seine Liste –. »die Spanischklassen sind
größtenteils voll, aber wenn Sie möchten, rede ich ein Wort mit Mr. Delgado.«
    »Vielleicht könnten Sie statt dessen mit dem Griechischlehrer sprechen.«
    »Ich weiß nicht, ob es etwas nützen würde. Er nimmt nur eine begrenzte Zahl von Studenten an. Eine sehr begrenzte Zahl. Außerdem geschieht die Auswahl meiner Meinung nach eher auf persönlicher als auf akademischer Basis.«
    In seinem Ton lag ein Hauch von Sarkasmus und außerdem die Andeutung, daß er, falls es mir recht wäre, dieses spezielle Thema lieber nicht weiter verfolgen würde.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte ich.
    In Wahrheit glaubte ich es durchaus zu wissen. Laforgues Antwort überraschte mich. »Es ist nichts Derartiges«, sagte er. »Selbstverständlich ist er ein ausgezeichneter Gelehrter. Zufällig ist er auch ganz charmant. Aber er hat ein paar meiner Ansicht nach sehr merkwürdige Vorstellungen von Unterrichten. Er und seine Studenten haben buchstäblich keinen Kontakt zum Rest der Fakultät. Ich weiß nicht, weshalb man seine Kurse weiter im allgemeinen Vorlesungsverzeichnis aufführt – das ist irreführend; jedes Jahr gibt es die gleiche Verwirrung deshalb; praktisch gesehen ist sein Seminar geschlossen. Wie ich höre, muß man, um bei ihm zu studieren, die richtigen Dinge gelesen haben und ähnliche Ansichten vertreten wie er. Schon mehrmals sind Studenten wie Sie abgewiesen worden, auch wenn sie schon früher eine klassische Sprache studiert hatten. Was mich betrifft« – er hob eine Braue –, »wenn ein Student lernen will, was ich lehre, und wenn er qualifiziert ist, dann nehme ich ihn in meinen Kurs auf. Sehr demokratisch, nicht? So ist es am besten.«
    »Kommt so etwas hier oft vor?«
    »Natürlich. Schwierige Lehrer gibt es an jeder Schule. Und viele« – zu meiner Überraschung senkte er die Stimme –, »viele hier, die sehr viel schwieriger sind als er. Wenngleich ich Sie bitten muß, mich damit nicht zu zitieren.«
    »Natürlich nicht.« Ich war ein bißchen verblüfft über diese plötzliche Vertraulichkeit. »Wirklich, es ist ziemlich wichtig, daß Sie es nicht tun.« Er beugte sich vor und flüsterte, und sein winziger Mund bewegte sich dabei kaum. »Ich muß darauf bestehen. Vielleicht ist es Ihnen nicht bewußt, aber ich habe ein paar schreckliche Feinde hier. Sogar – auch wenn Sie das vielleicht kaum glauben - sogar hier in meinem eigenen Fachbereich. Außerdem«,
fuhr er in normalerem Ton fort, »ist er ein Sonderfall. Er unterrichtet hier seit vielen Jahren und läßt sich für seine Arbeit nicht einmal bezahlen.«
    »Warum nicht?«
    »Er ist
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