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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Autoren: Donna Tartt
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war ich desorientiert und von Panik erfaßt: Konnte ein Geist in Wellenlängen Gestalt annehmen, in elektronischen Punkten und Bildröhren? Was sind die Toten überhaupt anderes als Wellen und Energie? Lichtschein von einem toten Stern?
    Das ist übrigens eine Formulierung von Julian. Ich erinnere mich, daß er in einem Vortrag über die Ilias davon sprach; Patroklos erscheint Achilles im Traum, und in einer bewegenden Stelle will Achilles – überglücklich über die Erscheinung – den Geist des alten Freundes umarmen, und dieser verschwindet. Die Toten erscheinen uns im Traum , sagte Julian, weil sie nur so sichtbar für uns werden können: Was wir sehen , ist eine Projektion, ein Strahl aus weiter Ferne , Lichtschein von einem toten Stern ...
    Das erinnert mich übrigens an einen Traum, den ich vor zwei Wochen hatte.
    Ich war in einer seltsamen, verlassenen Stadt – einer alten Stadt, wie London –, von Krieg oder Krankheit entvölkert. Es war Nacht; die Straßen waren dunkel, zerbombt, verlassen. Lange wanderte ich ziellos umher – vorbei an verwüsteten Parks, zerschossenen Statuen, Brachgrundstücken voller Unkraut, übersät von den Trümmern eingestürzter Apartmenthäuser, aus deren Flanken rostige Träger wie Rippen hervorstachen. Aber hier und da, weit verstreut zwischen den trostlosen Hülsen wuchtiger alter öffentlicher Bauten, sah ich auch neue Gebäude, miteinander verbunden durch futuristische Brücken, von unten beleuchtet. Moderne Architektur
mit langgestreckten, kühlen Perspektiven, die sich phosphoreszierend und gespenstisch aus dem Schutt erhob.
    Ich betrat eines dieser neuen Gebäude. Es sah aus wie ein Laboratorium, vielleicht auch wie ein Museum. Meine Schritte hallten auf dem Fliesenboden. Eine Gruppe von Männern, die alle Pfeife rauchten, umdrängte ein Ausstellungsstück in einer Glasvitrine, die im Halbdunkel schimmerte und ihre Gesichter dämonisch von unten bestrahlte.
    Ich ging näher heran. In der Vitrine war eine Maschine, die langsam auf einer Drehscheibe kreiste, eine Maschine mit Metallteilen, die hinein- und herausglitten und in sich zusammenfielen, nur um neue Formen zu bilden. Ein Inka-Tempel ... klick, klick, klick ... die Pyramiden ... das Pantheon. Geschichte verging vor meinen Augen und änderte sich jeden Moment.
    »Ich dachte mir, daß ich dich hier finden würde«, sagte eine Stimme neben mir.
    Es war Henry. Sein Blick war fest und leidenschaftslos im trüben Licht. Über seinem Ohr, unter dem Drahtbügel seiner Brille, konnte ich mit Mühe die Schmauchspuren und das dunkle Loch in der rechten Schläfe erkennen.
    Ich war erfreut, ihn zu sehen, aber eigentlich nicht überrascht. »Weißt du«, sagte ich, »alle behaupten, du seist tot.«
    Er starrte die Maschine an. Das Colosseum ... klick, klick, klick ... das Pantheon. »Ich bin nicht tot«, sagte er. »Ich habe nur ein kleines Problem mit meinem Paß.«
    »Was?«
    Er räusperte sich. »Mein Bewegungsspielraum ist eingeschränkt«, erklärte er. »Ich kann nicht mehr so ungehindert reisen, wie ich es gern täte.«
    Hagia Sophia. St. Markus in Venedig. »Was ist das hier für ein Ort?« fragte ich ihn.
    »Diese Information ist leider geheim.«
    Ich sah mich neugierig um. Anscheinend war ich der einzige Besucher. »Ist es für die Öffentlichkeit zugänglich?«
    »Normalerweise nicht, nein.«
    Ich sah ihn an. Es gab so vieles, was ich ihn gern fragen wollte, so vieles, was ich ihm sagen wollte, aber irgendwie wußte ich, daß dazu keine Zeit war und daß alles ohnedies nicht von Belang war.
    »Bist du glücklich hier?« fragte ich ihn schließlich.
    Er überlegte einen Moment. »Nicht besonders«, sagte er. »Aber du bist auch nicht sehr glücklich da, wo du bist.«
    St. Basilius in Moskau. Chartres. Salisbury und Amiens. Er sah auf die Uhr.
    »Ich hoffe, du wirst mich entschuldigen«, sagte er. »Ich komme zu spät zu einer Verabredung.«
    Er wandte sich ab und ging davon. Ich sah ihm nach, wie er sich durch die lange, schimmernde Halle entfernte.

DANKSAGUNGEN
    Dank an Binky Urban für zahllose Bemühungen um dieses Buch, die mich sprachlos sein lassen, an Sonny Mehta dafür, daß alles überhaupt möglich wurde, an Gary Fisketjon, il miglior fabbro , und an Garth Battista und Marie Behan, die soviel Geduld mit mir haben, daß ich manchmal weinen möchte.
    Und – auch wenn ich riskiere, daß es klingt wie ein Homerischer Schiffskatalog – all den folgenden Leuten ist für Hilfe, Inspiration und
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