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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Autoren: Donna Tartt
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liest Francis denn Illustrierte?
    Sie kam zum Bett und küßte ihn munter auf die Stirn. »Aber Sweetie«, sagte sie zu ihm, »ich dachte, wir hätten uns vorgenommen, nicht mehr zu rauchen?«
    Und zu meiner Überraschung pflückte sie ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie im Aschenbecher aus. Dann schaute sie zu mir herüber und strahlte mich an.
    Francis fuhr sich mit einer bandagierten Hand durchs Haar. »Priscilla«, sagte er tonlos. »Das ist mein Freund Richard.«
    Ihre blauen Augen weiteten sich. »Hallo!« sagte sie. »Ich habe schon so viel von dir gehört!«
    »Ich von dir auch«, sagte ich höflich.
    Sie zog sich einen Stuhl ans Bett. Freundlich und immer noch lächelnd, setzte sie sich.
    Und wie durch Zauberei verstummte unsere Unterhaltung.
     
    Camilla erschien am Tag darauf in Boston; auch sie hatte einen Brief von Francis bekommen.
    Ich saß dösend auf einem Stuhl neben dem Bett; ich hatte Francis aus Dickens’ Unser gemeinsamer Freund vorgelesen – komisch, wenn ich’s mir jetzt überlege, wie sehr meine Zeit bei Francis
im Krankenhaus in Boston jener Zeit ähnelte, die Henry bei mir im Krankenhaus in Vermont verbracht hatte –, und als ich erwachte, weil Francis überrascht aufschrie, und sie im trüben Bostoner Licht vor mir stehen sah, glaubte ich zu träumen.
    Sie sah älter aus. Die Wangen ein bißchen hohler. Das Haar anders, sehr kurz geschnitten. Ohne es zu merken, hatte ich inzwischen angefangen, auch an sie wie an einen Geist zu denken: Aber als ich sie jetzt sah , wie sie bleich, aber immer noch schön, leibhaftig vor mir stand, da tat mein Herz einen so glücklichen, wilden Satz, daß ich dachte, ich würde platzen, dachte, ich würde sterben, gleich hier und jetzt.
    Francis setzte sich im Bett auf und streckte die Arme aus. »Darling«, sagte er. »Komm her.«
     
    Vier Tage waren wir drei in Boston zusammen. Es regnete die ganze Zeit. Francis kam am zweiten Tag aus dem Krankenhaus – zufällig am Aschermittwoch.
    Ich war nie zuvor in Boston gewesen; ich fand, es sah aus wie London, das ich auch noch nie gesehen hatte. Grauer Himmel, rußgeschwärzte backsteinerne Stadthäuser, chinesische Magnolien im Nebel. Camilla und Francis wollten zur Messe gehen, und ich ging mit. In der Kirche war es voll und zugig. Ich ging mit ihnen zum Altar, um mir das Aschenkreuz zu holen, schlurfte in schwankender Reihe mit ihnen nach vorn. Der Priester war gebeugt, schwarz gekleidet, sehr alt. Er malte mir mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn. Staub bist du , und zu Staub sollst du wieder werden. Ich stand wieder auf, als die Kommunion gereicht wurde, aber Camilla faßte mich beim Arm und zog mich zurück. Wir drei blieben sitzen, als die Bänke sich leerten und wiederum eine lange Reihe dem Altar entgegenschlurfte.
    »Wißt ihr«, sagte Francis, als wir hinausgingen, »Ich habe einmal den Fehler begangen, Bunny zu fragen, ob er je über die Sünde nachdächte.«
    »Was hat er gesagt?« fragte Camilla.
    Francis schnaubte. »Er hat gesagt: ›Nein, natürlich nicht. Ich bin doch nicht katholisch .‹«
    Wir saßen den ganzen Nachmittag in einer dunklen kleinen Bar an der Boylston Street herum, rauchten Zigaretten und tranken irischen Whiskey. Das Gespräch kam auf Charles. Er war in den letzten paar Jahren anscheinend immer wieder mal zu Gast bei Francis gewesen.
    »Francis hat ihm vor zwei Jahren ziemlich viel Geld geliehen«, sagte Camilla. »Das war nett von ihm, aber er hätte es nicht tun sollen.«
    Francis zuckte die Achseln und trank sein Glas leer. Man sah, daß das Thema ihm unangenehm war. »Ich wollte es aber«, sagte er.
    »Du wirst es nie wiedersehen.«
    »Das ist in Ordnung.«
    Ich verging fast vor Neugier. »Wo ist Charles?«
    »Oh, er kommt zurecht«, sagte Camilla. Offensichtlich bereitete das Thema auch ihr Unbehagen. »Er hat eine Zeitlang bei meinem Onkel gearbeitet. Dann hatte er einen Job als Pianist in einer Bar – was, wie du dir vorstellen kannst, nicht so gut lief. Unsere Nana war sehr unglücklich. Schließlich mußte sie meinen Onkel veranlassen, ihm zu sagen, wenn er sich nicht zusammenreißen könne, müsse er ausziehen. Da zog er aus. Er nahm sich ein Zimmer in der Stadt und arbeitete weiter in der Bar. Aber schließlich flog er da raus und mußte wieder nach Hause kommen. Da fing er dann an, hier heraufzukommen. Es war schön von dir«, sagte sie zu Francis, »daß du dich so mit ihm abgegeben hast.«
    Er starrte in sein Glas. »Ach«, sagte er, »das
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