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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Autoren: Donna Tartt
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einem reichen Daddy, das mit dem Schlagzeuger von Vance Vane and His Musical Swains durchbrannte. Drei Wochen später war sie wieder zu
Hause, sechs Wochen später wurde die Ehe annulliert, und die Großeltern zogen sie, wie Francis gern sagt, Geschwistern gleich auf, ihn und seine Mutter, zogen sie in so großmütigem Stil auf, daß selbst die Klatschweiber beeindruckt waren – englische Kinderfrauen und Privatschulen, Sommer in der Schweiz, Winter in Frankreich. Oder nehmen Sie sogar den gutmütigen alten Bunny, wenn Sie wollen. Keine Kindheit mit Blazer und Tanzunterricht, ebenso wenig wie bei mir, aber doch eine amerikanische Kindheit: der Sohn eines Football-Stars aus Clemson, der Banker geworden war, vier Brüder und keine Schwester in einem lärmerfüllten Haus in einem Vorort, Segelboote, Tennisschläger und Golden Retriever; die Sommer dann auf Cape Cod, Internat bei Boston, endlose Picknicks in der Football-Saison – eine Erziehung, die man Bunny in jeder Hinsicht anmerkte, angefangen bei seinem Händedruck bis zu seiner Art, einen Witz zu erzählen.
    Ich aber hatte nichts mit ihnen gemeinsam – und das ist bis heute nicht anders –, nichts außer meinen Griechischkenntnissen und dem Jahr, das ich in ihrer Gesellschaft verbracht habe. Und selbst wenn mir klar ist, daß dies im Lichte der Geschichte, die ich erzählen werde, merkwürdig klingen mag, außer vielleicht der Liebe – wenn denn Liebe etwas ist, das man gemeinsam hat.
    Wie fange ich an?
    Nach der High School ging ich auf ein kleines College in meiner Heimatstadt (meine Eltern waren dagegen; sie erwarteten, das war unmißverständlich klargemacht worden, daß ich meinem Vater in der Tankstelle half, und das war einer der vielen Gründe, weshalb ich so sehr darauf brannte, aufs College zu gehen), und in den zwei Jahren dort studierte ich Altgriechisch. Nicht daß ich diese Sprache besonders geliebt hätte; aber ich wollte ein vormedizinisches Examen machen (Geld, müssen Sie wissen, war die einzige Möglichkeit für mich, mein Schicksal zu verbessern, und Ärzte verdienen bekanntlich eine Menge Geld), und mein Studienberater hatte vorgeschlagen, für das erforderte geisteswissenschaftliche Nebenfach eine Sprache zu nehmen; und weil der Griechischunterricht zufällig nachmittags stattfand, belegte ich Griechisch, damit ich montags ausschlafen konnte. Es war eine absolut willkürliche, und doch, wie sich zeigen sollte, schicksalhafte Entscheidung.
    Meine Leistungen in Griechisch waren gut, ja, exzellent, und ich gewann im letzten Jahr sogar einen Preis der Altsprachlichen Fakultät. Mein Lieblingskurs war es deshalb, weil es in einem richtigen Klassenzimmer stattfand – keine Gläser mit Kuhherzen, kein
Geruch von Formaldehyd, keine Käfige mit kreischenden Affen. Anfangs hatte ich gedacht, mit harter Arbeit könnte ich die fundamentale Empfindlichkeit und Abneigung gegen meinen Beruf überwinden, und mit noch härterer Arbeit könnte ich vielleicht sogar so etwas wie Begabung dafür simulieren. Aber das war nicht der Fall. Die Monate vergingen, und ich blieb desinteressiert, wenn nicht sogar regelrecht angeekelt von meinem Studium der Biologie; meine Noten waren schlecht, und Lehrer und Klassenkameraden betrachteten mich mit Verachtung. In einer Geste, die sogar mir selbst wie eine unheilsträchtige Pyrrhus-Geste erschien, wechselte ich zu englischer Literatur als Hauptfach, ohne meinen Eltern etwas davon zu sagen. Ich spürte, daß ich mir damit selbst die Kehle durchschnitt, daß es mir auf jeden Fall schrecklich leid tun würde, schließlich war es besser, auf einem lukrativen Gebiet zu versagen, als in einem Fach Erfolg zu haben, von dem mein Vater (der weder von finanziellen noch von akademischen Dingen etwas verstand) versichert hatte, daß es höchst unprofitabel sei – einem Fach, das unweigerlich dazu führen würde, daß ich für den Rest meines Lebens zu Hause herumhängen und ihn um Geld anbetteln würde, Geld, das er mir, wie er mit Nachdruck versicherte, nicht zu geben beabsichtigte.
    Ich studierte also Literatur, und es gefiel mir besser. Aber mit meiner Heimatstadt kam ich immer weniger zurecht. Ich glaube nicht, daß ich die Verzweiflung erklären kann, die dieser Ort in mir hervorrief. Zwar habe ich inzwischen den Verdacht, daß ich angesichts der Umstände und meiner inneren Natur überall unglücklich gewesen wäre, in Biarritz genauso wie in Caracas oder auf Capri, aber damals war ich davon überzeugt, daß mein
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