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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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einzelne Strähnen durch die Luft flogen. Auf den ersten Blick waren sie tiefschwarz wie die Haare ihre Mutter – zumindest ehe das Grau des Alters ihnen den Glanz geraubt hatte. Doch nun, da die Abendsonne darauf fiel, schimmerten sie rötlich, so wie des Vaters Haupt,wenn der im grellen Tageslicht stand. über den ganzen Rücken fielen nun Alaïs’ Locken, nahmen den Schweiß von den Oberarmen auf und wurden klebrig.
    Und wieder ging ihr Blick zurück zu Aurel. Sein Bruder Emeric, das nahm sie flüchtig wahr, beglotzte sie – vielleicht aber auch nicht sie, sondern das Treiben auf dem Platze. Sie sah, dass er kaute; vielleicht war es ihm gelungen, beim Hinausgehen ein Stückchen Brot zu entwenden und es nun im Freien aufzuessen.
    Der Vater stand nicht mehr an Aureis Seite, wahrscheinlich hatte Caterina ihn von ihm weggelotst. Doch anstatt nun endlich den Blick zu heben, blieben Aureis braune Augen auf den Boden gerichtet, wo er unruhig mit den Füßen scharrte, als fiele ihm das Stillstehen so schwer wie ihr. Seine Finger, nicht länger lebhafte Gesten formend, verknoteten sich unruhig ineinander. Sie dachte nicht mehr daran, wie jene wohlgeformten Finger heute tief im Blut der armen Louise gewühlt hatten, nur, dass sie nicht von der rohen, freudlosen Arbeit kündeten, die den Rücken der Menschen hier beugte.
    Warum sieht er mich nicht?, dachte Alaïs, und die Töne der Laute kamen ihr verzerrt vor, weil ihr vom schnellen Drehen schwindelte.
    Dann geriet ihr Tanz ins Stocken. Jemand stellte sich vor sie, hielt sie am Arm fest. Ihr Haar fiel auf den Rücken, manche Strähnen klatschten ihr direkt ins Gesicht wie Peitschenschläge.
    Eine Hand strich sie ihr fort, dann plötzlich bewegten sich fremde Lippen auf die ihren zu.
     
    Ehe die Lippen des anderen sie streifen konnten, fuhr Alaïs zurück.
    »Untersteh dich, Josse!«, schrie sie und schlug mit der Hand auf den Mund des gedrungenen Mannes, der sich vor ihr aufgebaut hatte.
    »Jeder konnte es sehen, wie du für mich getanzt hast!«, rief er gekränkt.
    »Ich wusste nicht einmal, dass du hier bist!«
    »Warum so spröde? Deine Eltern und die meinen – die sähen es gern, wenn du und ich endlich Hochzeit feierten.«
    Alaïs blieb der Mund offen stehen, so ungeheuerlich dünkte sie dieser Antrag. Ihr Blick huschte abfällig über Josses Gestalt, ein Fischer wie ihr Vater, doch gebückter als jener und ohne den leisen Spott, den Ray zwischen sich und sein stinkendes Tagwerk schob. Josse war Fischer mit Haut und Haar. Irgendwie, und das ging Alaïs zum ersten Mal auf, sah er selbst ein wenig aus wie ein Fisch mit diesen Glupschaugen und dem nach Luft schnappenden Mund.
    »Untersteh dich!«, knurrte Alaïs ein zweites Mal. »Wie kannst du auch nur daran denken!«
    »Bist doch im rechten Alter«, seine Zunge stieß schwerfällig an seine Zähne. Er musste viel getrunken haben, wahrscheinlich war er nur deswegen mutig, dergleichen offen auszusprechen. »Oder, genau genommen, schon weit darüber.«
    Alaïs wusste, dass er recht hatte. Sie war vergangenen April siebzehn Jahre alt geworden, und in dem Alter hatte Régine, Josses Schwester, schon zwei Kinder geboren.
    Alaïs schüttelte es, wenn sie daran dachte. Louises Bild stieg von ihr auf, wie sie stöhnend, blutend und fliegenumsurrt dagelegen hatte und fast an ihrem Kind krepiert war.
    Sie blieb ihm eine schnippische Bemerkung schuldig, denn eben trat Régine grinsend zu ihnen. »Und wie, kleiner Bruder, willst du dieses Weib bändigen? Wenn es sich in der Liebe so stürmisch und sittenlos verhält wie beim Tanz, hat sie dir fünfmal ihre Fersen in den Leib getreten, ehe dieser auf ihr zu liegen kommt.«
    Sie verhöhnte den Bruder, doch der Blick, der auf ihm ruhte, war gutmütig. Er wurde erst stechend, als sie Alaïs ansah. Jeder in Saint – Marthe wusste, dass Régine den Bruder fürsorglicher behütete als die eigenen Kinder. Eines davon war letztes Jahr ins Meer gefallen und ersoffen. Ihrem Bruder Josse hingegen hatte sie einst voller Geduld das Schwimmen beigebracht.
    Alaïs schnaubte. »Solltest auf deine Schwester hören!«, stieß sie aus.
    »Pah!«, rief Josse mit glasigem Blick. »Und ich kriege dich doch!«
    Er schwankte, als er sich umwandte, und Régine packte ihn schnell am Arm, auf dass er nicht fiel. Mühsam verkniff sich Alaïs ein Grinsen. Viel länger wollte sie jedoch nicht an ihn denken, wollte lieber zurückfinden in den Takt der Musik.
    Da erst gewahrte sie, dass diese verstummt war,
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