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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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Operationstechniken das Vorbild meines Protagonisten Aurel wurde.
    Ohne Zweifel waren die damaligen Mittel beschränkt. Viele anatomische Kenntnisse fehlten. Dennoch beweisen Amputationen, Kaiserschnitte und Operationen am offenen Gehirn, der Einsatz von Schlaf schwämmen (ab dem 15. Jahrhundert hörte deren Gebrauch übrigens wieder auf), Versuche der Intubation, die antiseptische Wundbehandlung (hinter die einer der einflussreichen Schüler Henri de Mondevilles, Guy de Chauliac, leider wieder zurückfiel) sowie komplexe Nähtechniken, dass man es nicht mit einfachen Schlächtern zu tun hatte, die häufiger den Tod brachten als das Leben, sondern mit fortschrittlichen, wissenshungrigen Männern, die aus bescheidenen Möglichkeiten dasBeste machten. In meinem Roman wollte ich darum vor allem zeigen, was sie konnten – und nicht, wo, verglichen mit der modernen Medizin, ihre vielen Unzulänglichkeiten lagen.
    Der Höhenflug der mittelalterlichen Chirurgen war leider viel zu rasch beendet. Zum einen waren es kirchliche Restriktionen, die die Ärzteschaft um Jahrhunderte zurückwarfen: Während – nicht zuletzt dank der medizinischen Fakultäten in Montpellier und Bologna – die Akzeptanz für Anatomie und Chirurgie zunächst wuchs, verbot Papst Gregor IX. 1376 den Medizinern deren Ausübung. Zum anderen stellt der Schwarze Tod eine wesentliche Zäsur dar. In einer Welt, in der die Menschheit fassungslos vor einer ihrer größten Katastrophen stand, wo manche Ordnung, manches soziale Gefüge und ideologische Gerüst wankte und daraus schließlich eine neue Epoche – die Neuzeit – erwuchs, überwog offenbar die Kapitulation vor dem Irrationalen das Interesse an der Ergründung des menschlichen Körpers.
    Erst zwei Jahrhunderte später, an der Wende zum 16. Jahrhundert, brach mit ärzten und Anatomen wie Andreas Vesalius oder Paracelsus eine goldene ära für die Anatomie und die Chirurgie an.
     
    Es war nicht nur die Pest, die die Neuzeit einleitete, sondern auch die Entdeckung fremder Welten. Welcher Reiz darin lag, wurde schon im 14. Jahrhundert bekannt, als Marco Polos Buch zum Bestseller avancierte.
    Die »Grüne Insel«, von der Pio Navale spricht, könnte Madeira oder die Azoren gewesen sein. Die Azoren wurden schon von den Karthagern und den Phöniziern erwähnt, jedoch erst 1427 tatsächlich entdeckt. Madeira – angeblich 1419 von Joäo Gonçalves Zarco entdeckt – wurde bereits im Jahr 1351 zum ersten Mal auf einer florentinischen Seekarte verzeichnet. In der Forschung geht man davon aus, dass die Insel womöglich schon in den 3Oer – Jahren des 14. Jahrhunderts erstmals von Europäern betreten worden ist.Jene Jahrzehnte, in denen dieses Buch spielt, stellen eine Wendezeit dar, die nicht zuletzt von Menschen geprägt wurde, die ein engstirniges Denken überwunden haben. Dafür braucht man nicht selten Skrupellosigkeit, Egoismus und Unkonventionali – tät. Vielleicht aber reicht das nicht aus. Vielleicht mussten die Menschen damals auch lernen, dass Freiheit im Kopf unter Umständen bedeutet, dass einem erst einmal der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Eine zwar bittere, leidvolle Lektion, doch überragend – ob als Chirurg, als Weltenbummler oder einfach nur als starke Frau – kann wohl nur sein, wer neben seinem Eigensinn und seinem Selbstvertrauen ein gewisses Maß an Demut mitbringt. Oder wer dieses auf seinem Weg zu lernen bereit ist.
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