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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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die tanzenden Menschen innegehalten hatten und Remi rasch den frischen Krug Wein hinter seinem Rücken barg.
    Verwirrt blickte sie sich um – und erkannte den Grund, warum das ausgelassene Fest jäh beendet worden war.
     
    »Haltet ihr das für den rechten Weg, den Abend eines Samstags zu verbringen? Der Tag, an dem der Erlöser einst im Grab ruhte?«
    Als der Mann mit der dunklen Kutte näher trat, verbarg Remi nicht nur den Weinkrug, sondern riss seinem ältesten auch die Laute aus der Hand, leichtgläubig wie ein Kind, das meint, man übersähe sämtliche Untaten, wären deren Werkzeuge erst versteckt. Doch der Franziskaner, der auf dem Dorfplatz erschienen war, ließ sich davon nicht milde stimmen. Das dunkle, armselige Gewand, wie es sein Orden vorschrieb, flatterte im Wind, der merklich kühler wurde – sei’s, weil die Sonne untergegangen war, sei’s, weil sein bloßes Auftreten die Menschen erschaudern ließ. Nicht immer hatte Frère Lazaire solche Macht über seine Gemeinde. Trotz des Armutsgebots galt sein Blick als gierig, wenn er fette Kühe oder mit Fischen reich gefüllte Körbe sah.
    Oft wurde hinter seinem Rücken gelästert. Nicht nur Alaïs’ Eltern taten das – Ray gerne in Anwesenheit der Tochter, Caterina erst dann, wenn sie meinte, jene lausche nicht –, sondern auch Régine, die mehrfach laut bekundet hatte, einen Priester nicht ernstnehmen zu können, der wie ein Bettler aussehe. Gerne erzählte sie von einer Reise nach Marseille und wie dort am Jahrestag der Heiligsprechung von Louis – jener ein Bruder des Königs von Neapel und der Provence – eine große Prozession begangenworden war. Höchst angetan hatte sie sich davon gezeigt, was der Bischof damals getragen hatte: einen mit Perlen verbrämten Mantel und eine mit Gold durchwirkte Mitra. Dergleichen gebe eine Ahnung von Glanz und Gloria des Allmächtigen, nicht das verdreckte Krähengewand des Franziskaners!
    Doch ihr Widerwille gegen Frère Lazaire zeigte sich nur in dessen Abwesenheit. Nun war Régine die Erste, die den Kopf senkte, buckelnd zu ihm gekrochen kam und kleinlaut bekannte: »Wir feiern doch nur, weil Louise die Geburt überstanden hat.«
    »Indem ihr tanzt?«, keuchte Frère Lazaire, und sein empörter Blick wanderte zu Alaïs. Sie hatte innegehalten wie der Rest, aber in ihrem Gesicht standen noch deutlich die Spuren von Hitze.
    »Ihr solltet euch ein Beispiel an der frommen Guillelma nehmen!«, mahnte er.
    Nicht nur Régine, auch die übrigen starrten nun verlegen zu Boden und falteten die Hände, als könnte man, wenn auch nicht mit gemurmeltem Gebet, so doch mit entsprechender Haltung die letzten Stunden wettmachen.
    Die fromme Guillelma, ausgerechnet!, ging es Alaïs durch den Kopf.
    Als Kind hatte sie mit den anderen Dorfrangen darum gewettet, wer sich als Nächster an Guillelmas Haus heranwagte, durch ihr Fenster spähte und sie heimlich beobachtete. Guillelma verließ das Haus niemals, zumindest nicht bei Tag. Was sie bei Nacht tue, hatte ihr Vater einmal mit vielsagendem Grinsen gemeint, wisse man schließlich nicht – woraufhin Caterina bemerkt hatte, er solle nicht von seiner eigenen Verderbtheit auf die anderer schließen.
    Nun, Alaïs war meist diejenige gewesen, die sich bis an die Fenster vorwagte, doch wann immer sie einen Blick auf Guillelma geworfen hatte, war diese entweder gesessen oder gekniet. In irgendeiner Weise bewegt hatte sie sich nie, weshalb Aläis sich irgendwann sicher war, dass die Alte nicht nur fromm, sondern obendrein gelähmt war, jedoch Letzteres durch Ersteres verbergen wollte.
    Einen Beweis hatte sie dafür nie erhalten. Fest stand, dass die fromme Guillelma eine gewisse Douceline verehrte, die wiederum die Schwester des großen Hugues de Digne war und im Gebiet von Hyères eine Gemeinschaft gegründet hatte. Die Frauen, die sich dieser anschlossen, unterwarfen sich Gelübden, die denen eines Ordens glichen – so schworen sie Keuschheit und Armut –, blieben jedoch im eigenen Haus leben, um es, zum Zwecke, Buße zu tun, fortan nicht mehr zu verlassen.
    Wenn Frère Lazaire nicht zugegen war, wurde oft darüber getuschelt, ob Douceline und Hugues tatsächlich große Heilige waren oder womöglich doch Ketzer. In Frère Lazaires Gegenwart beteuerte man jedoch inbrünstig, welche Gnade die fromme Guillelma dem Dorf erweise, weil sie ausgerechnet hier ihr Leben Gott weihe. Nicht selten wurde auch die Rechnung aufgestellt, wie viele Sünden nicht durch eigene anstrengende Buße
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