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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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du’s gern gewesen wärst. Gewiss keine, für die man studiert haben muss.«
    »Ihr müsst wissen«, meinte Ray, »ehe wir hier an der Küste lebten, sind mein Weib und ich …«
    »Das will keiner wissen!«, rief Caterina nun schon zum dritten Mal.
    Sie erhob sich hastig, obwohl noch nicht alle ihr Mahl beendet hatten, und wusch sich hektisch die Hände. Alaïs hatte oft erlebt, dass sie auf diese Weise reagierte, wenn Ray auf ihre Vergangenheit zu sprechen kam. Für gewöhnlich erweckte dies ihre Neugierde; sie wollte das Geheimnis ergründen, das sie dahinter witterte. Doch heute galt es, mehr über den
Cyrurgicus
herauszufinden.
    Ihr Vater kam jedoch nicht dazu, weitere Fragen zu stellen, denn als Emeric die zweite Schüssel geleert hatte und sich für das ausnehmend gute Mahl bedankte, drangen von draußen plötzlich die süßlichen Klänge von Flöten – und Lautenspiel herein.
     
    Der kleine Platz zwischen den Fischerkaten – die ärmlichen aus Holz gebaut, die besseren aus gelblichem Stein, der im Abendlicht rötlich schimmerte – war um diese Tageszeit für gewöhnlich menschenleer. Nun freilich strömten immer mehr Dorfbewohner aus den Häusern, nicht nur von der Musik angelockt, sondern vor allem vom Wein, den Remi ausschenkte. Remi war nicht im Meer ersoffen, wie Aläis befürchtet hatte. Er hatte es sogar geschafft, noch weitere Weinschläuche aufzutreiben, und sein Rausch machte ihn großzügig.
    »Greift nur zu! Greift nur zu!«, rief er lallend. »Mein Weib lebt, mein Kind auch, ich habe etwas zu feiern.«
    Caterina schüttelte den Kopf, nachdem sie nach draußen geeilt waren, entweder ob seiner Dummheit, den Wein einfach zu verschenken, oder weil es noch viel zu früh war, Louises Leben zu feiern. Vielleicht aber war sie auch nur verwirrt, weil Remi nicht nur Worte formte, sondern diese lauthals aus sich herausplärrte.
    Die beiden Musikanten waren seine Kinder, und obwohl einige der Töne mehr als schief klangen, konnte Alaïs bald nicht mehr still stehen, sondern begann ihre Hüften zu wiegen. Sie war nicht die Einzige. Manch einer, vom Wein dazu ermutigt, fing an, sich ungelenk zu drehen. Nur wenige bremste das Misstrauen.
    »Woher hat Remis Sohn die Flöte?«, raunte Régine Caterina zu. »Doch gewiss gestohlen!«
    Aläis hörte die Antwort nicht mehr. Es war ihr gleich, woher die Flöte stammte und dass Remi ein Hohlkopf war, der nicht bis morgen denken konnte. Viel zu befreiend war es zu erleben, wie jene Stille, die ansonsten über Saint – Marthe lastete und aus dem Dorf eine langweilige Einöde machte, durchbrochen wurde und den Menschen eine Ahnung geschenkt ward, dass es noch mehr im Leben gab, als Fische zu fangen, auszuweiden und zu braten.Fremd war nicht nur die Musik, die die laue Luft zum Vibrieren brachte, fremd war auch das Lachen, das sich aus mancher Kehle löste, rau und unsicher, aber zunehmend dreister.
    Die Tanzenden wurden immer mutiger. Alaïs drehte sich noch schneller als die anderen und versäumte es dabei nicht, hin und wieder einen Blick auf Aurel zu werfen.
    Er war auch aus der Kate getreten, doch während sein Bruder sich unwillkürlich im Takt der Musik wiegte, blieb er steif stehen. Alaïs sah, wie ihr Vater ihn etwas fragte, woraufhin Aurel zu einer längeren Antwort ansetzte. Ray nickte verständnisvoll – oder gab zumindest vor, das Gesagte zu begreifen. Davon ermutigt löste Aurel seine Hände, die er über der Brust zusammengehalten hatte, und artikulierte immer leidenschaftlicher, je länger er redete.
    Warum kann Vater ihn nicht einfach in Ruhe lassen?, dachte Alaïs verärgert und hieb ihre Füße regelrecht in den Boden. Ihr Rock wirbelte hoch, gestattete den Umstehenden den Anblick ihrer nackten Beine. Einige grölten – nur Aurel Autard gewahrte nichts davon.
    Alaïs wirbelte in die eine, dann in die andere Richtung. Ein dünner Schweißfilm breitete sich über ihren Körper. Sie fühlte, wie ihre Haare sich lösten, ob des eigenen Schwungs oder ob der kühlen Brise, die vom Meer her salzig wehte. Meist trug sie die Haare streng geflochten und – wenn es nach Caterina ging – unter einem Tuch verborgen, das so mausgrau und rau war wie ihr Kleid.
    Irgendwie gelang es ihr immer, dieses Tuch im Laufe des Tages zu verlieren, doch die Flechten hielten ihrer Regsamkeit meist stand. Nur heute nicht. Heute wollte sie, dass der
Cyrurgicus
mit den großen, braunen Augen sie sah. Sie tanzte immer schwungvoller, schüttelte wild ihren Kopf, sah, wie
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