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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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die Mutter dann, sie habe ihn nicht zum Betrüger erzogen – was Félipe geflissentlich überhörte.
    »Und, Was hast du gefangen?«, fragte Alaïs ihren Vater, als sie das Boot auf den Strand geschoben hatten.
    »Vor allem Seebarsch«, rief er ihr zu. »Ein paar Sardinen und Meeräschen.«
    »Keinen Thunfisch?«
    »Du weißt doch, das ist hier so gut wie unmöglich.«
    Der Vater klagte oft, das Meer rund um Saint – Marthe sei kein rechter Ort zum Fischen. Viel ertragreicher sei es, bei Cannes und Antibes, in der Nähe der Inseln Saint–Honorat und Saint–Marguerite auszufahren. Doch dort – auch das war ein Ärgernis –ließ sich die Seigneurie das Fischrecht teuer bezahlen. Einzig die
Piscatores pallidum,
jene Männer, die in den Flüssen fischten, kamen billiger davon.
    Das war nicht das Einzige, was ihm zusetzte. Jedes Mal, wenn er aufbrach, stimmte er eine übertriebene Klagerede an und fragte den Herrn im Himmel lautstark, warum er ausgerechnet ihm das Element des Wassers zugedacht hatte, wo er das Meer doch eigentlich nie hatte leiden können.
    Desgleichen fragte sich Alaïs auch des öfteren. Warum hatte ihr Vater nicht das Dasein des Viehhirten, des Bauern, des Händlers erwählt, wenn ihm das Wasser so zuwider war? Schließlich –das hatte sie aus rätselhaften Andeutungen ihrer Mutter herausgehört – waren ihre Eltern nicht als Fischerskinder geboren worden und stammten auch nicht aus Saint – Marthe. Vielmehr waren sie als Kinder verarmter okzitanischer Grafen zur Welt gekommen, die weitläufig miteinander verwandt gewesen waren, und hatten sich auf provençalischem Boden niedergelassen, nachdem sie in der Heimat nicht hatten bleiben können. Alais vermutete, dass das etwas mit dem ketzerischen Glauben zu tun hatte, den die Kirche dort ausrotten wollte. Doch Bestätigung hatte sie dafür nie gefunden, desgleichen wie sie von der abenteuerlichen Reise, die zwischen dem Leben im Languedoc und dem in der Provence stand, mehr ahnte als wusste. Selten sprachen die Eltern darüber, und wenn sie es doch taten, so gaben sie kaum mehr preis als ein paar Andeutungen.
    Schon der Klang von Caterinas und Rays Stimmen, wenn sie davon erzählten, verhieß mehr Furcht und Grauen als aufregende Abenteuer, und doch beneidete Alais sie ebenso wie die Brüder dafür, dass sie offenbar ferne Länder gesehen und viele Gefahren ausgestanden hatten, sie selbst aber nichts anderes kannte als Saint – Marthe.
    Ray – so nannte der Vater sich, denn sein eigentlicher Name Raimon deuchte ihn zu lang – reichte ihr das Netz. »Muss wieder mal geflickt werden.«
    Als sie die Stirn missmutig in Falten zog, lachte er.
    »Ich weiß, du magst das nicht. Musst schließlich viel zu lange dabei still sitzen. Aber was ist dir lieber: mir später beim Flicken zu helfen oder deiner Mutter, wenn sie die Fische ausnimmt und einlegt?«
    Alaïs zog ihre Stirn noch krauser. Letzteres war ohne Zweifel jene Arbeit, die sie am meisten hasste – verhieß sie doch, dass die Hände alsbald bis hoch zu den Ellbogen vom Salz brannten und der üble Fischgestank über Tage an ihr haften blieb.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, was geschehen ist«, rief sie schnell, um den Vater abzulenken.
    »Was?«, fragte er grinsend. »Hat die alte Bethilie wieder einen Zahn verloren? Ich dachte sie hätte keinen mehr!«
    Alaïs musste lachen, wurde aber rasch wieder ernst. »Louise hat ihr Kind geboren!«, berichtete sie aufgeregt. »Und sie wäre fast daran gestorben. Doch dann sind fremde Männer gekommen …«
    Ray hob verwundert die Augenbrauen.
    »Einer von ihnen, stell dir vor, ist ein
Cyrurgicus.
Und er hat Louises Bauch aufgeschnitten!«
    Noch höher zog er die Brauen, diesmal misstrauisch.
    »Doch!«, rief Alaïs. »Er trägt auch Bücher bei sich und viele Instrumente und ein merkwürdiges Gebilde, das wie ein Kopf …«
    Sie brach ab. Caterina kam eben an den Strand gestapft, die Hände in die Hüften gestemmt.
    »Kann irgendwer noch langsamer sein Boot ausladen als du?«, fuhr sie den Gatten an. Alaïs hatte ihre Mutter selten anders als in diesem leicht nörgelnden Tonfall mit ihrem Vater reden hören. Dennoch war sie sich gewiss, dass Caterina seit einigen Stunden nach ihm Ausschau gehalten und glücklich gelächelt hatte, als das Boot wohlbehalten in der Bucht eingetroffen war.
    »Frischer Fisch gefällig, liebste Frau?«
    Der Vater griff ins Boot und zog einen Fisch hervor. An der Schwanzflosse hielt er das zappelnde Getier fest und
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