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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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beendet, da unterbrach er sie rüde. »Ich brauche etwas zu trinken!«
    Keine Bitte. Kein Lächeln, um sie sich geneigt zu stimmen.
    Ehe sie etwas darauf sagen konnte, gewahrte Alaïs, wie ihre Mutter Louises Kate verließ. Gleich danach folgte Aureis Bruder Emeric.
    »Denkt Ihr, sie wird es schaffen?«, fragte Caterina nachdenklich. Emeric zuckte nur die Schultern, ehe auch er an den Trog trat, um sich mit dem Wasser zu waschen, das sein Bruder mit Blut verunreinigt hatte.
    »Mutter!«, rief Alaïs. »Mutter! Wir sollten dem
Cyrurgicus
etwas zu trinken und zu essen anbieten. Und eine Schlafstatt, es wird bald Abend.«
    »Warum wir?«, gab Caterina barsch zurück. »Er hat Louises Kind gerettet … also soll ihn dessen Vater bewirten.«
    Alaïs drehte sich um, suchte im Kreise der Umstehenden nach Remi und sah ihn schließlich in der Ferne umherwanken. Régine war mit einem Bündel zu ihm getreten. Erst nach einer Weile kam Alaïs zu dem Schluss, dass das Bündel das neugeborene Kind sein musste. Remi glotzte Régine nur verständnislos an und stapfte in Richtung des Meeres davon.
    Caterina sprach es nicht aus, aber Alaïs ahnte, was sie dachte: Wenn er Pech hatte, würde Remi heute nicht mit den Fischen reden, sondern, von diesen beglotzt, jämmerlich ersaufen. Zumindest stand das zu erwarten, wenn er in diesem Zustand vornüber kippte und im Wasser liegen blieb.
    »Man muss jemanden suchen, der das Kind nährt«, sagte Caterina düster. »Louise ist dazu kaum in der Lage.«
    »Mutter …«, wiederholte Alaïs und nickte unauffällig in Aureis Richtung. »Mutter, wir müssen …«
    »Es ist unserer Zunft untersagt, eine Einladung derer anzunehmen, die wir behandeln«, schaltete sich Aurel ein. »Nie sollen wir mit einem Patienten Mahl halten.«
    Caterina kniff die Augen zusammen. Alaïs fürchtete, die Mutter würde ihm unbeeindruckt die Meinung sagen – so wie sie es oft tat und nicht selten Menschen damit vor den Kopf stieß – und ihm bekunden, dass ihr dies alles herzlich gleichgültig sei, vor allem, nachdem er sie doch als Hebamme beschämt hatte. Stattdessen wandte sie sich an Alaïs. »Wenn er Hunger und Durst hat, wird er sich gedulden müssen, es ist noch nicht Essenszeit. Aber du kannst den beiden Herren einstweilen unseren Schuppen zeigen.«
    Der Schuppen diente der Aufbewahrung von Netzen, Rudern und Reusen und war gewiss kein Ort, an dem man gerne die Nacht verbrachte. Wahrscheinlich hoffte Caterina, die Fremden wären hellhörig genug, solch ein wenig fürsorgliches Angebot als das zu werten, was es war: die Aufforderung zu verschwinden.
    Doch weder der eine Bruder noch der andere machte Anstalten zu gehen. So gleichmütig wie sie die dreckige Kleidung ertrugen, ließen sie sich auch mit einer schäbigen Schlafstatt zufriedenstellen.
    »Kommt mit!«, rief Alais ihnen zu, und ihre Worte klangen weit weniger spröde als die ihrer Mutter. Sie hatte es nicht zeigen wollen, aber die Aussicht, dass der Fremde zumindest eine Nacht in Saint – Marthe zubringen würde, hatte den Takt ihres Herzschlags beschleunigt.
     
    Der Schuppen war niedrig, stickig und heiß – und doch vollführte Alais mit den Händen eine einladende Bewegung, als wiese sie den beiden Männern die prächtige Kemenate einer steinernen Burg zu. Emeric, der Bruder des
Cyrurgicus,
blieb beim Eingang stehen und blickte sich um, als müsste er erst in Ruhe den fremden Raum erkunden, ehe er ihn betreten könnte. Aurel Autard indes kannte dergleichen Scheu nicht. Er folgte Alais, als wäre er schon oft hier gewesen, und hörte gar nicht zu, als sie erklärte, sie könnte noch Decken für die Nacht bringen. Stattdessen zog er aus einem seiner Lederbeutel ein Buch. Der Einband war aus Leder, die Seiten aus Pergament, und als Alais einen flüchtigen Blick darauf warf, war sie sicher, dass ihre Mutter ehrfürchtig erstarrt wäre und laut bekundet hätte, wie überaus kostbar ein solcher Besitz war.
    Ihr selbst freilich fiel vor allem auf, wie abgegriffen das Leder war und wie brüchig. Wäre das Buch eine Speise gewesen, sie hätte ranzig und schimmlig geschmeckt. Emeric war endlich eingetreten, und anders als Aurel war ihm Alais' neugieriger Blick auf das Buch nicht entgangen.
    »Das sind Texte von Hunayn ibn Ishäq«, erklärte er. »Auf der Universität muss jeder Student deren Inhalt kennen.«
    Sie war weniger erstaunt über das, was er sagte, als vielmehr darüber, dass dieser bislang weitgehend stumme Schatten überhaupt Worte formte.
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