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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus
Autoren: Julia Kröhn
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Unsicher, was sie davon zu halten hatte, zuckte sie die Schultern. Aurel hingegen begann ungeduldig, in dem Buch zu blättern, und musste zu diesem Zweck einige der zusammengeklebten Seiten förmlich auseinanderreißen.
    »Und weiter hinten«, ergriff er das Wort, »weiter hinten stehen Auszüge aus der
Cyrurgia
von Roger von Salerno. Will sehen, wasdarin über den Kaiserschnitt geschrieben steht. Die Wenigsten besitzen solch eine Abschrift!«
    Er strahlte über das ganze Gesicht, erklärte jedoch nicht, warum gerade er eine derartige Kostbarkeit mit sich trug. Alaïs trat zu ihm und spürte die Hitze, die sein hagerer Körper ausströmte.
    »Alles auf Latein«, murmelte er knapp.
    Wäre es auch anders gewesen, sie hätte nicht mehr mit diesen Schriften anfangen können. Ihre Mutter hatte stets großen Wert darauf gelegt, dass die Kinder lesen lernten. Doch während sie das bei den älteren Brüdern Raimon und Felipe entweder durch gutes Zureden oder regelmäßige Prügel erreicht hatte, war sie bei Alaïs auf Widerstand gestoßen. Lesen war etwas, was man vornehmlich in engen Räumen tat – und eingeschlossen zu sein und obendrein möglichst regungslos zu hocken, war ihr eine Qual. Sie kannte zwar die einzelnen Buchstaben, vermochte es jedoch nicht, sie schnell zu einem Wort zu verknüpfen. Das dauerte jedes Mal eine halbe Ewigkeit.
    »Es gibt kaum chirurgische Texte auf Französisch«, fuhr Aurel fort. »Auch Mondeville schrieb auf Latein. Seine Schriften wurden aber sofort ins Französische übertragen.«
    »Mondeville?«
    In ihrem provençalischen Dialekt klang der französische Name aus ihrem Mund anders als aus seinem.
    »Ein großer
Cyrurgicus,
einer der größten überhaupt!«, rief Aurel, bückte sich hektisch und zog weitere Bücher aus dem Beutel. »Hier! Die Anatomie von Mondeville! Im übrigen halte ich es für einen Fehler, medizinische Schriften auf Latein zu verfassen. Wie soll der einfache
Cyrurgicus
von der Straße sie verstehen? In Italien haben sie viel früher begriffen, dass die Landessprache zum Zwecke der besseren Verbreitung unumgänglich ist. Die Bücher von Guillelmo da Saliceto, Ugo da Lucca und Theodoric wurden vielfach übersetzt, und natürlich die
Cyrurgia parva
von Lanfranco da Milano.«
    Die Fülle an Namen langweilte sie. Doch Aurel legte nun ohnehin das Buch zur Seite, griff wieder in den Lederbeutel, und was er als Nächstes hervorzog, war um vieles interessanter.
    »Was ist das?«, entfuhr es ihr.
    Er antwortete nicht. »Habt ihr noch etwas Wein?«, fragte er. »Ich brauchte welchen, um meine Instrumente zu waschen.«
    Alaïs zauderte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Mutter überreden sollte, Wein an den
Cyrurgicus
zu verschenken, und das nicht einmal zu dem Zwecke, dessen Kehle zu nässen.
    »Was ist das?«, fragte sie erneut.
    Als sie das dünne, von dunklem Blut befleckte Messer eingehender betrachtete, kam es ihr bekannt vor. Es war dasselbe, mit dem er zuvor Louises Leib aufgeschnitten hatte.
    »Die
Similaria,
gewiss das wichtigste Werkzeug eines
Cyrurgicus.
In unserer Sprache das Skalpell. Hier«, er griff nun nach einem hakenförmigen Instrument, »der
Angistrum
! Außerdem besitze ich eine
Serra
zum Durchsägen von Knochen, wenn man ein Glied amputiert, das
Phlebotomum
zum Aderlassen, die
Terebra,
um den Schädel anzubohren, und die
Spicula,
um den Star zu stechen.«
    Unmöglich konnte sie sich diese vielen Begriffe merken. »Und das hier?«, fragte sie und deutete auf ein Instrument, das einer Zange glich.
    »Der Pelikan«, erklärte Aurel, »auch Geißfuß genannt. Damit werden Zähne gezogen. Aber ich mache das nur selten, es ist die Aufgabe der Bader.«
    Er schüttelte heftig den Kopf, als wollte er von vornherein jeden Verdacht zerstreuen, er hätte mit diesem Berufsstand auch nur das Geringste gemein.
    »Und hier die
Emplastra
– Bruchbänder.«
    Alaïs hatte keine Ahnung, was man mit jenem straffen Ledergürtel anstellen konnte, an dem eine Platte aus Holz angebracht war. Aurel fand es jedoch müßig, es zu erklären, und fuhr rasch fort: »Das alles haben wir dem großen Abulcasis zu verdanken. Ohne ihn wüssten wir nur wenig über die Chirurgie und noch weniger über die Instrumente, mit denen einst die großen Medici gearbeitet haben. Er hat detaillierte Beschreibungen hinterlassen.«
    Wieder ein Name, der nicht länger als für die Dauer eines Wimpernschlags in Alaïs’ Gedächtnis blieb. Dann entfuhr ihr plötzlich ein erstaunter Aufschrei.
    Was Aurel
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