Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
dabei sehen, John. Wie sie bei jedem Zuschnappen der blutigen Lefzen in ihre kleinen Hände klatscht und auf dem Stuhl auf und nieder wippt. Oh ja, die Königin hat Bärenkämpfe schon immer geliebt …
    Mit anderen Worten sollte man also niemals vergessen, wessen Tochter sie ist. Mitleid und Abscheu, das sind Gefühle, mit denen ich zurechtkomme, die ich notfalls unterdrücken kann. Aber unbedacht zur Schau gestellte Verachtung … wer wollte das riskieren?
    Deshalb hatte ich zügig eine Erkältung ausgebrütet, als ich zu einem Bankett in Anwesenheit Ihrer Majestät eingeladen wurde, auf das ein Bärenkampf folgen sollte.
     
    †
     
    Ihr Parfum färbte die Luft. Immer Rosen, als ob ein Wink der königlichen Hand die Jahreszeit ändern könnte. Ich erkannte meine ältere Cousine Blanche Parry, die Erste Hofdame der Königin, die sich inmitten des Gefolges aus Wachen, Höflingen und grinsenden Mitläufern im Hintergrund hielt. Sie beobachtete uns wie eine weiße Eule in einem Baum. Blanche hatte mir immer misstraut.
    «Derart erkältet gab ich keinen besonderen Anblick ab, fürchte ich», erklärte ich lahm. «Meine Nase …»
    «… steckte wohl wie üblich in einem Buch, vermute ich», sagte die Königin.
    «Ja», gab ich demütig zu. «So war es wohl.»
    Ein Augenblick unangenehmen Schweigens.
    Und dann legte die Königin den Kopf zurück und lachte, und es war, als würde ein Schwarm Lerchen durch die Luft fliegen. Nach kurzem Luftholen brach auch das gesamte Gefolge in Lachen aus, als hätte ihnen zuvor etwas die Kehle zugeschnürt. Nur Blanche Parry beobachtete mich weiter, ohne zu lächeln, während die Königin mir eine Hand auf den Arm legte und mich von ihrem Gefolge wegführte.
    «Ich sollte Euch nicht so necken, John.»
    «Oh», sagte ich. «Darum ging es Euch also.»
    «Manchmal glaube ich», begann sie, während wir durch den Obstgarten gingen, «dass Ihr mich besser kennt als sonst jemand – bestimmt auch durch Eure Künste.»
    Meine Künste? Grundgütiger!
    «Aber sicher auch», fügte sie schnell hinzu, «durch die Erfahrung von Not und Ungemach, die uns gemein ist.»
    Ich nickte dankbar. Die Tochter ihres Vaters, die Schwester ihrer Schwester, aber Elisabeth kannte das Leben auch von der anderen Seite. Hatte nicht vergessen, welch traurige Karten das Leben Lady Jane Grey zugespielt hatte, als die gerade einmal sechzehn war. Erwachte aus Träumen von der niedersausenden Axt, so wie ich versuchte, mich des Nachts vor dem brüllenden Feuer zu retten. Wie sicher fühlte sie sich dieser Tage?
Hatte sie überhaupt von der Wachspuppe gehört?
    «John, so wie ich mich erinnere, habt Ihr mich einmal eingeladen, Eure Bibliothek anzusehen.»
    «Ähm … ja, das habe ich wohl … ja.»
    Damals hatte ich geglaubt, sie hätte es missverstanden oder zumindest doch so getan. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie nicht viel jünger als ich.
    «Tatsächlich», flüsterte sie, «hat man mir dringlichst geraten, Eure Bibliothek unter allen Umständen zu
meiden

    «Meine Bücher … meiden?»
    Wegen ihres ketzerischen Inhalts?
    «Es war jemand, der sich daran erinnerte, wie Ihr meine selige Schwester von den Vorzügen einer Nationalbibliothek überzeugen wolltet.»
    «Oh …»
    Ich atmete aus. Darum ging es also. Die Kosten. Meine Argumente hatten Maria nicht überzeugt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass einige Mitglieder des Geheimen Rats die Einrichtung und Pflege einer Nationalbibliothek ebenfalls für Verschwendung guten Geldes hielten.
    «Es schien mir eine solche Tragödie», sagte ich, «wie viele wertvolle Werke seit der Ablösung von Rom verschwunden sind. Zahlreiche dieser Ausgaben wurden von skrupellosen Äbten verschachert und dergleichen. Aber es kann wohl kein Zweifel bestehen, dass der, ähm,
Stifter
einer solchen Nationalbibliothek auf immer als der größte Förderer der Wissenschaften dieses Landes gelten –»
    «Na, na, John …» Die Königin schlug mir leicht auf den Oberarm. Ihre Augen leuchteten amüsiert, ein kleiner Bausch rotgoldener Locken entwich ihrer Fellmütze. «Das ist doch nur aufgeschoben. Bis wir genügend Geld zur Verfügung haben, um alles angemessen durchzuführen. In der Zwischenzeit wissen wir Euer privates Engagement zu schätzen … wie viele Bücher befinden sich jetzt in Eurem Besitz?»
    «Neunhundert … und zwölf.»
    «Und
zwölf
», wiederholte die Königin feierlich. «Eine schöne Sammlung.»
    Möglicherweise war ich errötet. Es schien schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher