Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
fragen, aber es war schon zu spät nachts, um noch miteinander zu streiten.
    «Stimmt», gab ich zu. «Es passt nicht zu ihr, dass sie nicht Bescheid gegeben hat.»
    «Jetzt komme ich die ganze Nacht nicht ins Bett.» Meine Mutter ließ einen tiefen Seufzer hören. «Wir sollten zwei Diener haben, die hatten wir früher immer.»
    Ich schwieg. Dazu gab es nichts zu sagen. Ich war Gelehrter, und die Forschung wurde mager entlohnt.
    «Jemanden, der älter ist.» Meine Mutter zog ihren Winterumhang enger um sich. «Mit einer so jungen Frau auf dem Thron scheinen auch die weniger hochgeborenen jungen Frauen zu glauben, sie könnten sich Freiheiten herausnehmen.»
    Ich musste unwillkürlich lächeln. Mit jung meinte sie unzuverlässig, flatterhaft. Eine Königin, die am Tag ihrer Krönung mitten auf den von Menschen wimmelnden Straßen unverhohlen lachte und den Massen begeistert zuwinkte. Die dem gemeinen Pöbel überhaupt Aufmerksamkeit schenkte –
was
sollte da nur aus unserer Gesellschaft werden?
    Mein Herz hingegen, das darf ich versichern, war voller Freude gewesen, hatte ich doch einen solch unvermittelten Ausdruck ehrlicher Gewogenheit niemals in der Öffentlichkeit beobachtet, nicht einmal zu Weihnachten. Sonntag, der fünfzehnte Januar. Im Jahre des Herrn fünfzehnhundertfünfundneunzig. Vor etwas über zwölf Monaten. Die Wahl dieses glückverheißenden Tages hatte der Himmel getroffen, und ich hatte ihn nach dem Stand der Sterne berechnet. Und ich hatte der Krönung voller Erleichterung beigewohnt, denn wäre der Tag schlecht verlaufen …
    «Und darüber hinaus» – Jane Dee ließ nicht locker – «war heute Markttag. Und nun haben wir nichts Frisches im Haus. Ausgerechnet heute.»
    «Es wird schon gehen.»
    «Es wird schon gehen?»
Meine entsetzte Mutter ließ den Saum ihres schweren Umhangs herunterfallen, sodass er den Boden berührte. «Aber natürlich, dem Körper zur Nahrung reicht ja ein großer Verstand, schon braucht er wenig mehr. Dein armer, armer Vater, wenn der dich jetzt hören könnte …»
    Verärgert stolzierte sie über die mit leichtem Reif überzogene Straße auf unser offenes Tor zu. Tatsächlich hätte mein armer, armer Vater mich bestens verstanden – nach all den Geschichten über die maßlosen Gelage des seligen Heinrichs, die er uns erzählt hatte. Als müsste man einen besonders launischen Ofen anheizen, sagte er einmal, nachdem er etwas zu viel Wein getrunken hatte. Ich hätte Heinrich wegen seiner cholerischen Anfälle allerdings nicht als Ofen bezeichnet, sondern schon eher als brodelnden Vulkan.
    Ich verharrte einen Moment lang mitten auf der Straße. Im Mondlicht war nirgendwo die geringste Bewegung zu erkennen, nicht einmal von einem vorüberhuschenden Fuchs. Hinter nur wenigen der mit Eisblumen verzierten Fenster meiner Nachbarn brannten noch Kerzen. Die vornehmeren Häuser hier sind etwas weiter weg vom Fluss gelegen. Unser eigenes Haus, keineswegs das beeindruckendste, steht zum Teil auf Pfählen, wegen des möglichen Hochwassers.
    «Ihr wisst doch, Mutter, dass sie nicht hereinkommen wird.
Sie kommt nie herein
», rief ich über die Straße hinweg meiner Mutter zu.
    Als ich im Herbst zum letzten Mal hier in Mortlake weilte, war Elisabeth mit ihrem Gefolge bis an dieses Tor gekommen, ich hatte sie dort begrüßt, und da waren wir geblieben. Als ich ihr meine Bücher zeigen wollte, lehnte sie ab. Hatte keine Zeit, musste weiter. Königliche Aufgaben zu erledigen.
    Angesichts der Größe ihres Gefolges allerdings auch besser so, denn hätten wir sie allesamt beköstigen müssen, wir hätten einen Monat lang von trocken Brot und dünnem Ale gezehrt.
    «John … lebst du eigentlich auch
in
dieser Welt?» Meine Mutter wirbelte vor dem Tor herum, ihr Umhang ein wogender Schatten. «Nur weil sie unsere Schwelle
bisher
nicht überschritten hat, heißt das noch lange nicht, dass sie an einem so kalten Wintermorgen nicht doch einer dringenden Stärkung und etwas Heißen zu trinken bedarf. Wer kann das schon wissen?» Sie rümpfte die Nase. «Du bestimmt nicht, wo du doch immer nur geistiger Nahrung bedarfst.»
    Sie hegte nach wie vor zwiespältige Gefühle, was meine Berufung und mein Auskommen anging, Mistress Jane Dee.
    Und wer wollte ihr das verdenken?
     
    †
     
    Noch eine Stunde oder auch länger lag ich nach Mitternacht mit offenen Augen wach in meiner Schlafkammer, eine der Hauskatzen hatte sich an meinem Fußende zusammengerollt, und ich sann über das Wesen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher