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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon
Autoren: Phil Rickman
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Orte. Die Leute sagen, er würde wiederkommen und das heilige Kreuz erobern.
    Sir Thomas Malory

I Offene Gräber
    Mortlake, Februar 1560
     
    D ie einzige Dienerin meiner Mutter verschwand ausgerechnet in der Nacht, in der wir sie am nötigsten gebraucht hätten. Am Abend vor dem Besuch der Königin, dem Abend vor Lichtmess.
    Catherine Meadows war ein ruhiges Mädchen gewesen. Fleißig, sittsam und – vor allem – verschwiegen. Sie war die erste Dienerin, der ich es je gestattet hatte, in meiner Bibliothek Staub zu wischen, ja, sie überhaupt zu betreten. Wir hatten ihr den Nachmittag freigegeben, und sie war gegen Mittag aus dem Haus gegangen.
    Kaum eine Stunde später war der Bote der Königin eingetroffen, um uns von ihrem Besuch am folgenden Tag zu unterrichten.
Die Königin!
Meine arme Mutter verlor fast den Verstand: So viel zu tun und keine Dienerin im Haus!
    So wurde es für mich alles andere als ein beschaulicher Tag. Gegen sechs stand der Mond über dem Fluss, dann begannen die ersten Sterne am Himmel zu leuchten – und noch immer weit und breit keine Catherine Meadows. Obwohl ich nachts, wenn alles still ist, am besten arbeiten kann, musste ich um halb acht meine Bücher zuklappen, die Kerzenflamme auslöschen, den langen braunen Mantel anlegen und in der klirrend kalten Februarnacht nach ihr suchen gehen.
    Vielleicht ahnte ich tief in meinem Inneren die aufziehende Gefahr. Wer vermag das schon mit Sicherheit zu sagen? Ich habe mir oft gewünscht, solche Zeichen und Omen würden sich deutlicher und klarer offenbaren, doch leider – und das ist die bittere Ironie der Natur – war mir das nur selten vergönnt.
     
    †
     
    Eine helle Nacht – beinahe Tauwetter und dennoch hart wie Kristall. Raureif hatte sich auf die Zweige und Äste unseres Obstgartens gelegt, als ich ohne Laterne hinaustrat. Ich ging los, in die Richtung, wo unser Dorf an London grenzt, fragte erst in einem verrauchten alten Wirtshaus nach. Ich wusste, dass der Mann, nach dem ich suchte, dort an den meisten Abenden die eine oder andere Stunde verbrachte. Doch heute saß er nicht bei den anderen im Schankraum. Die Männer dort starrten mich mit verschlossenen Gesichtern an, also schlüpfte ich wieder hinaus und ging weiter die Straße zu seinem Cottage hinunter, wo ich ihn dann antraf.
    «Ah, Dr. John, zufälligerweise ist sie heute Nachmittag tatsächlich bei mir gewesen. Wegen ihrer Großmutter, Goodwife Carter – der geht es nicht gut.»
    Jack Simm, einst Apotheker und nun gelegentlich Gärtner meiner Mutter. Sein Cottage, am Rand eines Wäldchens aus Eichen und Dornengebüsch gelegen, war von solider Bauart, anheimelnd und weit wärmer als unser Haus – deshalb wäre es unklug gewesen einzutreten, weil es mich sonst womöglich verlockt hätte, die Nacht an Jack Simms Feuer zu verbringen.
    «Was hat sie denn?»
    Wir rechneten stets mit dem Schlimmsten. Blattern vor allem.
    «Rückenschmerzen», sagte Jack Simm. «Die Wirbel versagen wohl den Dienst. Nicht ganz mein Gebiet, muss ich zugeben. Ich habe ihr eine Kräutersalbe dagelassen und Cath eine Nachricht für Gerald mitgegeben. Ihr wisst schon, der Knocheneinrenker?»
    «Wer ist denn da an der Tür, Jack?» Eine Frauenstimme aus dem vom Feuer erleuchteten und nach Kräutern duftenden Inneren des Cottage.
    «Dr. John, Sarah. Alles in Ordnung.» Der weißbärtige Jack trat aus der Tür. Sein fleckiges Sackleinen hielt ein Gürtel zusammen, Stiefel trug er nicht. «Soll ich für Euch zu ihrer Farm hinüberreiten, Dr. John? Es wird nicht lange –»
    «Nein, nein. Zu viele Raubgesellen in der Gegend. Bestimmt ist sie bei Sonnenaufgang wieder da. Geht zurück ans Feuer, Jack, und zu Eurer Frau. Tut mir leid, dass ich gestört habe.»
    Doch Jack Simm zog die Tür hinter sich zu und schlurfte auf die Straße hinaus. Er rieb sich die Hände und schauderte, während er von einem bloßen Fuß auf den anderen trat. Der Boden war gefroren.
    «Hemd des Herrn, bin ich verflucht froh, wenn es langsam wärmer wird!»
    «Morgen ist Lichtmess», sagte ich. «Das Fest galt in alten Zeiten als erster Frühlingsbote.»
    «Ja, damals meinte die Sonne es besser mit uns, Dr. John …» Er hustete hörbar Schleim hoch und senkte dann die Stimme. «Es gibt da Sachen, die ich nicht vor Sarah sagen kann, sie ist eine gute Frau, tratscht aber gern. Meint das nicht bös, tut’s aber eben doch. Also, ich sag Euch, was dahintersteckt: Die Meadows sind eine fromme Familie, falls Ihr mich
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