Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
aus eigener Erfahrung, so gebt den Irrtum auf. Mein Weg ist der des Gelehrten. Die Hingabe an die Suche und Kartierung der Pfade zum Licht einer anderen Welt und in uns selbst. Und das, so darf ich Euch versichern, ist eine schwere Aufgabe, denn diese Pfade sind überwachsen mit Dornen und Ranken, und immer wieder locken uns
falsche
Lichter in die Irre.
    Oft genug bin auch ich ihnen gefolgt, nun aber gebe ich besser acht.
     
    †
     
    «Wir beide wissen», sagte ich, «dass London eine Brutstatt durchtriebener Niedertracht ist.»
    Walsingham rümpfte die Nase.
    «Ganz recht. Aber wohnen diesem Ding denn nun diabolische Kräfte inne?»
    «Es besitzt offensichtlich die Macht, Angst und Schrecken zu verbreiten.»
    Ich musterte die Konstabler, die jetzt miteinander flüsterten. Gedämpftes Lachen, um die Urangst dahinter zu verbergen. Ich wünschte, ich hätte die Figur mitsamt dem Sarg mitnehmen können, um beides einer genaueren Untersuchung zu unterziehen, entschied aber, dass es unklug gewesen wäre, zu viel Interesse zu bekunden.
    «Es ist keine Frage, dass sich jemand beträchtliche Mühe gemacht hat», sagte ich. «Der Sarg ist passabel gezimmert. Die Puppe selbst … kaum hohe Kunst. Und dennoch …»
    «Was?»
    «Das einzig Seltsame daran ist, dass es, abgesehen von dem Fingerabdruck, keine … Ich meine, normalerweise stecken in solchen Figuren Nadeln. Sie werden zu dem Zwecke gefertigt, der Person, die sie darstellen, körperliche oder seelische Schmerzen zuzufügen. Aber ich kann hier nichts dergleichen erkennen.»
    «Die Puppe liegt als Leiche in einem Sarg! Wie deutlich soll es denn noch –»
    «Ja, eine Leiche, selbstverständlich, aber
wie
hat sie den Tod gefunden?»
    «Eine Prophezeiung also? Ein böses Omen?»
    «Die Güte des Stoffs und die Herstellung lassen auf ein gewisses Vermögen und klaren Vorsatz schließen. Dass Augen und Mund so wenig kunstvoll sind, dürfte eher ein Ausdruck der Verachtung der dargestellten Person sein als mangelndes Geschick. Was der blutige Fingerabdruck auf der … Brust ebenfalls belegt.»
    Das war kein Zufall.
    «Die Sache wird sich natürlich herumsprechen», sagte Walsingham.
    «Bis zum Hof, meint Ihr?»
    «Es wissen bereits zu viele von der Angelegenheit. Ich kann jeden der Männer zur Verschwiegenheit verpflichten – was ich auch tun werde –, und es wird trotzdem herauskommen. Noch bevor die Woche vorüber ist, werden darüber vielleicht Pamphlete auf den Straßen verteilt.»
    «Ich stehe zur Verfügung», sagte ich. «So dies erforderlich werden sollte, kann ich beschwichtigend einwirken auf, nun …»
    «Dessen bin ich mir gewiss, Dr. Dee. Was soll in der Zwischenzeit mit dem Ding geschehen? Sollte man es im Feuer schmelzen?»
    «Hm … nein.» Ich trat einen Schritt zurück. «Davon rate ich ab. Zumindest nicht sofort. Ich würde erst … die dunklen Kräfte, die es beherbergen mag, bannen lassen. Am besten von einem Bischof. Kennt Ihr irgendwelche Bischöfe, Master Walsingham?»
    «Wenn nötig, werde ich bis heute Abend Bekanntschaft mit welchen geschlossen haben.»
    «Gut, ein Bischof wird wissen, was zu tun ist.»
    Ich nickte und wollte mich gerade zum Gehen wenden, als Walsingham sagte: «Was, wenn das hier nicht die Einzige ist?»
    «Die einzige Wachsfigur dieser Art?»
    «Was, wenn diese Puppen nun in ganz London verteilt sind? Sie die Stadt überziehen wie ein bösartiger Ausschlag? Wo können wir Euch erreichen?»
    Das konnte ich mir nicht vorstellen; eine Vielzahl dieser Figuren hätte ihre heimtückische Wirkung vermindert.
    «Wie ich sagte, werde ich mich heute zum Haus meiner Mutter begeben. Gebt Lord Dudley Bescheid, er wird mir dann einen Boten schicken.»
    Ich ließ Dudleys Namen bewusst einfließen. Obwohl er in manchen Kreisen keinen guten Klang hatte, besaß er doch überall Wirkung. Walsingham nickte. Er ging zum Sarg, beugte sich darüber und hielt einen Finger ganz dicht an die Figur, so
als ob
er sie gleich berühren würde, was ich allerdings bezweifelte.
    «Ist das Blut?»
    Der rote, mit einem Messer geschlitzte Mund. Das hatte ich mich auch gefragt. Und dann der noch schlimmere rote Klumpen im Schritt, über den ich lieber nichts sagte – in der Hoffnung, ich möge mit meiner Vermutung über künftige Schwangerschaften im Irrtum liegen.
    «Falls es sich dabei um das Blut desjenigen handelt, der die Puppe gemacht hat», erklärte ich, «soll es möglicherweise seinen Hass auf … auf die dargestellte Person direkt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher