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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben
Autoren: Emile Zola
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Jahren in Artikeln, Broschüren und wissenschaftlichen Abhandlungen überflutete. René Ternois hat dieses Hereinfluten des Pessimismus in seinem wohl dokumentierten Buch über »Zola und seine Zeit« im einzelnen verfolgt. Zola diente der Name Schopenhauer mehr als Firmenschild zur Kennzeichnung der ganzen Richtung. Die Vorwürfe wegen seiner oberflächlichen Behandlung der philosophischen Fragen trafen ins Leere, denn Zola wollte nach der neuen Konzeption einen »psychologischen Roman« schreiben. Damit änderte sich nicht nur die Gewichtsverteilung zwischen den Hauptpersonen – Pauline tritt wieder gleichberechtigt neben Lazare, und zwar als Zolas positive Heldin –, sondern auch die gesamte Komposition. Zwar wird das »drame«, die von Anfang an geplante Dreiergeschichte, beibehalten, aber der Roman wird wie alle bisherigen mit »Fakten« angereichert: die Szene der Niederkunft, die technischen Details über die Buhnen, über die mögliche industrielle Nutzung der Algen, über die rechtlichen Fragen der Vormundschaft, durch deren Übernahme die Familie erst in die Lage versetzt wird, Paulines Gutwilligkeit finanziell so schamlos auszubeuten. Und nicht zuletzt kommt auch die Beschreibung wieder zu ihrem Recht, ja, man kann sagen, daß erst durch die großartigen Naturbilder, das Aufrollen des weiten Horizontes über diesem einsamen normannischen Küstenstrich, das ewig wechselnde Schauspiel des gewaltigen Ozeans, der Roman eine gewisse künstlerische Größe erhält.
    Denn im übrigen liegt dieser Roman niveaumäßig wohl unter dem, was sich Zola zum Ziel gesetzt hatte. Sicher sind ihm auch hier einige Gestalten gut gelungen, das Dienstmädchen Véronique in ihrer beschränkten Rechtlichkeit, der Pfarrer Horteur mit seiner resignierenden Nachsicht, der Doktor Cazenove mit seiner welterfahrenen Skepsis. Auch das Ehepaar Chanteau wirkt echt: dieser unheilbar kranke, ewig von Schmerzen geplagte, ans Bett gefesselte und doch so aufs Leben erpichte Mann und diese enttäuschte Frau, eine Art Variante der Bovary, deren Jungmädchenträume Stück um Stück an der Enge der Verhältnisse und der Unfähigkeit ihrer Familie zerbrechen. Doch die Hauptgestalten erreichen nicht Zolas übliche Überzeugungskraft. Es war ja nicht das erste Mal, daß er »das langsame Zerbröckeln eines Wesens« untersuchte, wie er es sich nach dem endgültigen Entwurf vornahm. Er hatte in der »Beute« die Zerrüttung Renées, der Frau Saccards, studiert und in der »Eroberung von Plassans« die langsame geistige Umnachtung von Frau Marthe Mouret, den moralischen Verfall der Gervaise im »Totschläger« und die langsame Zerstörung einer Liebe in »Ein Blatt Liebe«. Aber in all diesen Romanen resultierte der Verfallsprozeß aus der Dialektik zwischen den Charakteren und Lebensumständen, war er eine zwangsläufige, objektiv bedingte Entwicklung, nicht eine vom Autor subjektiv gesetzte These. Die Hypochondrie Lazares jedoch zieht ihn gleichsam mit dem Eigengewicht einer Spirale in ewig gleichen Windungen nach unten, ohne jegliche andere Motivation als die seiner ererbten unglücklichen Veranlagung. Vielleicht würden eingefleischte Bewunderer des Modernismus gerade in dieser Ausweglosigkeit seines Charakters die Größe dieser Figur sehen. Gemessen an Zolas sonstigen Gestalten aber, ist sie blutleer und wenig überzeugend. Und noch weniger überzeugend ist Pauline in ihrer entnervenden, fast dümmlichen Gutmütigkeit. Ihr ewiges Nachgeben, Versöhnen, Ausgleichen, Sichopfern ist eigentlich nur eine andere Spielart von Lazares pessimistischer Inaktivität, aufgeputzt mit Zolas naturphilosophischem Optimismus. In beiden Fällen haben wir es weniger mit Menschen von Fleisch und Blut als mit Sprachrohren für Zolas naturphilosophische Grundthese zu tun, wobei der pessimistische Lazare, als die psychologisch durchgefeiltere Figur, zusätzlich auch noch Zolas optimistische Grundkonzeption selbst Lügen zu strafen scheint.
    Diese unaufgehobene, weil wirklich handlungsmäßig nicht vermittelte Doppelgesichtigkeit des Romans hat deshalb in der Zolakritik je nach der persönlichen philosophischen oder gesellschaftlichen Position der Kritiker zu gegensätzlichen Einschätzungen geführt. Das interessanteste Beispiel dafür ist vielleicht die gegensätzliche Meinung zweier Freunde Zolas, von Guy de Maupassant und von Paul Alexis.
    Guy de Maupassant schrieb in seiner Rezension des Buches in »Le Gaulois« vom 27. April 1884: »Von den bemerkenswertesten
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