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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben
Autoren: Emile Zola
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im Hallenviertel überlassen hatte. Und man war kaum zwei oder dreimal zusammengekommen, wenn Chanteau, den seine Schmerzen zur Aufgabe des Geschäftes zwangen, Reisen nach Paris unternommen hatte, um die medizinischen Kapazitäten zu konsultieren. Allein die beiden Männer schätzten einander, der Sterbende wünschte vielleicht, daß seine Tochter in der gesunden Meeresluft heranwuchs. Die Tochter übrigens, die die Fleischerei erbte, würde keineswegs eine Belastung sein. Kurz und gut, Frau Chanteau war darauf eingegangen, sogar so begeistert, daß sie ihrem Mann die gefährliche Anstrengung einer Reise hatte ersparen wollen und allein gefahren war, in ihrem ständigen Tätigkeitsdrang die Straßen ablief, die Angelegenheit regelte; und es genügte Chanteau, daß seine Frau zufrieden war.
    Doch warum kamen die beiden nicht? Seine Befürchtungen befielen ihn wieder angesichts des fahlen Himmels, über den der Westwind große schwarze Wolken trieb, gleich Rußfetzen, deren zerrissene Enden in der Ferne im Meer schleppten. Es war einer dieser Märzstürme, wenn um die Tagundnachtgleiche die Wogen wütend gegen die Küsten branden. Die Flut, die erst zu steigen begann, legte zunächst einen weißen Balken über den Horizont, einen schmalen, verlorenen Schaumstreifen; und der Strand, der an diesem Tag so weit entblößt war, diese meilenweit sich erstreckende Fläche voller Felsen und düsterer Algen, diese von Lachen beschmutzte, mit Trauerschleiern gefleckte kahle Ebene, nahm in der Abenddämmerung, die sich aus den entsetzt fliehenden Wolken herniedersenkte, eine gräßliche Schwermut an.
    »Vielleicht hat der Sturm sie in einen Graben geworfen«, murmelte Chanteau.
    Es trieb ihn, selber nachzusehen. Er öffnete die Glastür, wagte sich mit seinen bandgeflochtenen Hausschuhen auf den Kies der Terrasse, die das Dorf überragte. Ein paar Regentropfen, die mit dem Sturm daherflogen, peitschten ihm das Gesicht, ein furchtbarer Wind klatschte ihm die grobwollene blaue Jacke an seinen Körper. Doch er blieb hartnäckig, setzte keine Mütze auf, machte den Rücken krumm; und er stützte sich mit den Ellbogen auf die Brüstung, um auf die Landstraße unten aufzupassen. Diese Landstraße führte zwischen zwei Felswänden zu Tal, man hätte meinen können, es sei ein Axthieb in das Gestein gefahren, aus einer Spalte seien die wenigen Meter Erde herausgeflossen, auf der die fünfundzwanzig bis dreißig baufälligen Häuser von Bonneville standen. Jede Flut schien sie am Abhang zerschmettern zu müssen, auf ihrem schmalen Bett aus Geröll. Links befand sich eine kleine Landestelle, ein Streifen Sand, wo Männer mit regelmäßigen Rufen etwa zehn Boote an Land zogen. Der Ort hatte keine zweihundert Einwohner, sie lebten vom Meer, äußerst schlecht, mit der stumpfsinnigen Hartnäckigkeit von Mollusken an ihren Felsen geklebt. Und über den erbärmlichen Dächern, die jeden Winter von den Sturmböen eingedrückt wurden, sah man an den Felsabhängen auf halber Höhe rechts nur die Kirche und links nur das Haus der Chanteaus, getrennt durch die Schlucht der Landstraße. Das war ganz Bonneville.
    »Was für ein erbärmliches Wetter, wie?« rief eine Stimme.
    Als Chanteau aufblickte, erkannte er den Pfarrer, Abbé Horteur, einen untersetzten Mann von bäurischem Aussehen, dessen fünfzig Jahre sein rotes Haar noch nicht gebleicht hatten. Vor der Kirche hatte sich der Priester auf dem Friedhofsgelände einen Gemüsegarten vorbehalten; und dort war er und sah sich seine ersten Salatköpfe an, wobei er seine Soutane zwischen die Schenkel klemmte, damit der Sturm sie ihm nicht über den Kopf schlug. Chanteau, der sich gegen den Wind nicht verständlich machen konnte, mußte sich damit begnügen, mit der Hand zu grüßen.
    »Ich glaube, es ist nicht falsch, wenn sie die Boote an Land ziehen«, schrie der Pfarrer aus Leibeskräften weiter. »Gegen zehn Uhr werden sie tanzen.«
    Und als ihm ein Windstoß nun doch den Kopf mit seiner Soutane bedeckte, verschwand er hinter der Kirche.
    Chanteau hatte sich umgedreht, wölbte die Schultern vor und hielt stand. Obwohl ihm die Augen voller Wasser standen, warf er einen Blick auf seinen vom Meer versengten Garten und auf das Backsteinhaus mit den beiden fünffenstrigen Stockwerken, deren Sommerläden trotz der Vorsteckkeile abgerissen zu werden drohten. Als die Bö vorüber war, beugte er sich von neuem über die Landstraße vor; doch Véronique kam zurück und fuchtelte mit den Armen.
    »Wie! Sie
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