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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben
Autoren: Emile Zola
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sind rausgegangen? Wollen Sie wohl schleunigst wieder reingehen, Herr Chanteau!«
    Sie erwischte ihn im Flur, schalt ihn aus wie ein Kind, das man bei einem Vergehen ertappt hat. Nicht wahr? Wenn er morgen Schmerzen bekäme, dann müßte sie ihn wieder pflegen!
    »Du hast nichts gesehen?« fragte er unterwürfig.
    »Nein, natürlich habe ich nichts gesehen ... Ihre Frau hat bestimmt irgendwo Unterschlupf gefunden.«
    Er wagte ihr nicht zu sagen, daß sie hätte noch weiter gehen sollen. Jetzt ängstigte er sich vor allem, weil sein Sohn nicht da war.
    »Ich habe gesehen«, begann das Hausmädchen wieder, »daß die ganze Gegend in Aufregung ist. Diesmal haben sie Angst, dabei draufzugehen ... Schon im September hat das Haus der Familie Cuche von oben bis unten einen Riß bekommen, und Prouane, der das Angelus1 läuten ging, hat mir geschworen, es würde bis morgen einstürzen.«
    Doch in diesem Augenblick eilte ein großer neunzehnjähriger Bursche, die drei Stufen mit einem Schritt nehmend, die Freitreppe herauf. Er hatte eine breite Stirn, sehr helle Augen, und zarter kastanienbrauner Bartflaum umrahmte sein längliches Gesicht.
    »Na endlich! Da ist Lazare!« sagte Chanteau erleichtert. »Du bist ja patschnaß, armer Junge!«
    Der junge Mann hängte in der Diele einen von den Regengüssen durchnäßten Kapuzenmantel auf.
    »Nun, was ist?« fragte von neuem der Vater.
    »Was ist? Kein Mensch zu sehen!« erwiderte Lazare. »Ich bin bis nach Verchemont gegangen, und dort habe ich unter dem Wagenschuppen des Gasthauses gewartet und unverwandt auf die Landstraße gesehen, die einem wahren Schlammstrom gleicht. Kein Mensch! Da habe ich Angst bekommen, du könntest dir Sorgen machen, und bin zurückgegangen.«
    Er hatte das Gymnasium von Caen im August verlassen, nachdem er sein Abitur abgelegt hatte, und seit acht Monaten durchstreifte er die Felsenküste, ohne sich zu dem Entschluß durchzuringen, sich eine Beschäftigung zu suchen; nur für Musik begeisterte er sich leidenschaftlich, was seine Mutter zur Verzweiflung brachte. Sie war verärgert abgereist, denn er hatte es abgelehnt, sie nach Paris zu begleiten, und dabei war es ihr Traum, ihm dort eine Lebensstellung zu verschaffen. Der innere Zusammenhalt der Familie ging mehr und mehr verloren in einer ungewollten Verbitterung, die durch das häusliche Zusammenleben noch verstärkt wurde.
    »Jetzt, da du Bescheid weißt«, begann der junge Mann wieder, »möchte ich noch bis nach Arromanches gehen.«
    »Nein, nein, es wird schon dunkel«, rief Chanteau. »Es ist unmöglich, daß deine Mutter uns ohne Nachricht läßt. Ich erwarte eine Depesche ... Halt, das hört sich wie ein Wagen an.«
    Véronique hatte die Tür wieder geöffnet.
    »Das ist der Wagen von Doktor Cazenove«, verkündete sie. »Sollte er denn kommen, Herr Chanteau? – Ach, mein Gott! Aber das ist ja Ihre Frau!«
    Alle eilten die Freitreppe hinunter. Ein riesiger Hund, eine Kreuzung aus Neufundländer und Bernhardiner, der in einer Ecke der Diele geschlafen hatte, sprang mit wütendem Bellen auf. Bei diesem Lärm erschien auch eine kleine weiße, zierlich gebaute Katze auf der Schwelle; doch angesichts des schlammbedeckten Hofes zitterte ihr Schwanz leicht vor Widerwillen, und sie setzte sich manierlich oben auf die Stufen, um zu sehen.
    Indessen war eine etwa fünfzigjährige Dame mit mädchenhafter Behendigkeit aus dem Wagen gesprungen. Sie war klein und mager, hatte noch tiefschwarzes Haar und ein angenehmes Gesicht, das durch eine große Nase, die Nase einer Ehrgeizigen, verunziert wurde. Mit einem Satz hatte der Hund ihr die Pfoten auf die Schultern gelegt, um sie zu umarmen; und sie wurde ärgerlich.
    »Pfui, Mathieu, willst du mich wohl loslassen? Dummes Tier! Nun ist's aber genug!«
    Lazare kam hinter dem Hund über den Hof. Er fragte: »Nichts passiert, Mama?«
    »Nein, nein«, erwiderte Frau Chanteau.
    »Mein Gott, waren wir besorgt!« sagte der Vater, der trotz des Windes seinem Sohn gefolgt war. »Was ist denn geschehen?«
    »Oh, immerfort Ärger!« erklärte sie. »Einmal sind die Wege so schlecht, daß wir nahezu zwei Stunden gebraucht haben, um von Bayeux herzukommen. Dann hat sich doch in Arromanches eines von Malivoires Pferden einen Fuß gebrochen; und er hat uns kein anderes geben können, ich habe schon kommen sehen, daß wir bei ihm würden übernachten müssen ... Schließlich war der Doktor so freundlich, uns seinen Wagen zu leihen. Der brave Martin hat uns gefahren ...«
    Der
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