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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street
Autoren: Katherine Howe
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von Reichen und Berühmten auf diesem einen Schiff – darunter auch dem damals reichsten Mann der Welt, John Jacob Astor IV ., zusammen mit dem realen Harry Widener und seinen Eltern, George und Eleanor – war auffallend. Ebenso wie der deutliche Zusammenhang zwischen Reichtum und den Chancen zu überleben.
    Doch natürlich hatte niemand damit gerechnet, dass das größte Passagierdampfschiff der damaligen Zeit sinken würde, gewiss nicht auf seiner Jungfernfahrt. Die Passagiere ebenso wie seine Konstrukteure vertrauten fest darauf, dass es mit seiner technischen Überlegenheit allen Tücken widerstehen konnte, die sich auf der Reise über den Nordatlantik ergeben könnten. In der damaligen Zeit waren die Amerikaner mehr denn je fest davon überzeugt, dass mit Technik und Vernunft alle Probleme zu lösen seien. Diese trügerische Technikgläubigkeit fand ihren Nachhall gerade mal drei Jahre später, als die RMS Lusitania – ein weiteres, mit allen Finessen ausgestattetes Dampfschiff – nach Großbritannien in See stach, obwohl es vorher vom deutschen Konsulat massive Drohungen gegeben hatte. Man glaubte, die Lusitania könne deutschen Torpedos entkommen, doch abgesehen davon werden die modernen Historiker den Gedanken nicht los, in der öffentlichen Meinung sei die Lusitania , ebenso wie vorher die Titanic , einfach als zu großartig, zu wundervoll, zu modern angesehen worden, um für etwas so Altmodisches wie Tod und Schrecken anfällig zu sein. Der Schock über die Schwächen der Lusitania , die sich schon so bald nach dem Untergang der Titanic offenbarten, trugen maßgeblich dazu bei, dass die Vereinigten Staaten ihre Neutralität aufgaben und in den Krieg eintraten, der damals Europa erschütterte, ganz ähnlich, wie der Angriff auf das World Trade Center ein Jahrhundert später den Weg in einen Krieg bahnte.
    Der Tod selbst und, allgemeiner gesprochen, das menschliche Bewusstsein, waren damals ebenso Objekte modernistischer Forschungen. Professor Edwin Friend war tatsächlich Psychologe an der Universität von Harvard, ein Mann, der auf dem Weg zu einer Konferenz über parapsychologische Forschung in England an Bord der Lusitania ums Leben kam. Er war aktiv in der Amerikanischen Gesellschaft zur Erforschung Parapsychologischer Phänomene, einer Gruppierung von Intellektuellen, die sich im Jahre 1885 gegründet und dem wissenschaftlichen Studium der Möglichkeiten eines Lebens nach dem Tode und paranormaler menschlicher Fähigkeiten verschrieben hatte. Spiritismus als Religion war besonders in Neuengland und dem Staat New York seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sehr weit verbreitet gewesen und erlebte in den Jahrzehnten rund um den Ersten Weltkrieg neuen Aufschwung. Helen und Sibyl hätten in den Bostoner Zeitungen zahlreiche Hinweise auf Séancen und spiritistische Zusammenkünfte gefunden, gleich neben den Ankündigungen von Gottesdiensten der herkömmlichen Kirchen, Abstinenzlertreffen und Vorträgen über das Frauenwahlrecht. Die Erforschung des Okkulten war ein weitverbreitetes Allgemeingut; und tatsächlich war ausgerechnet das angesehenste Mitglied der Amerikanischen Gesellschaft zur Erforschung Parapsychologischer Phänomene kein anderer als der Psychologe, Philosoph und Vater des amerikanischen Pragmatismus, William James. Auch er, Professor in Harvard und Bruder des berühmten Schriftstellers Henry James, war so überzeugt von der Fortdauer des menschlichen Geistes nach dem Tode und so besessen von der Vorstellung, dass eine solche Tatsache kurz davor stand, wissenschaftlich bewiesen werden zu können, dass seine Witwe Alice und sein Bruder Henry nach seinem Tod im Jahre 1910 mehrere Séancen abhielten, weil sie glaubten, der Philosoph würde alles daransetzen, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
    Die beiden ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts verhießen für praktisch jeden Bereich menschlichen Strebens große wissenschaftliche Fortschritte. Während Benton Derby eine rein fiktive Figur ist, ist seine Fakultät in Harvard, die Abteilung für Sozialethik, keineswegs erfunden, und sie war nichts anderes als der Vorläufer dessen, was wir heute als Soziologie bezeichnen. Die Sozialethik hatte es sich zum Ziel gemacht, für gesellschaftliche Missstände und Probleme wie Armut eine Lösung zu finden und zum Beispiel die Pflege von geistig und körperlich Kranken nach rationalen gesundheitlichen und organisatorischen Prinzipien zu gestalten. Etwa zur gleichen Zeit hielt Sigmund Freud an der
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