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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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zu Ende ist, fahren die Stadtbewohner wieder nach
Hause und überlassen das Dorf den bevorstehenden Winterstürmen.
    Am Tag nach Labor Day hallen Hammerschläge durch die verlassenen Straßen, denn die Touristenläden und Frühstückspensionen entlang der Commodore Milton Lane werden mit Brettern vernagelt. Und wenn die Arbeit schließlich getan ist und die Luftmatratzen und Sonnenschirme zusammengelegt und für die nächste Saison verstaut sind, genießen die paar hundert ständigen Bewohner von Freedman’s Cove den kurzen Frieden des Herbstes und wappnen sich für einen weiteren harten Neu-England-Winter.
    Mitte Oktober wehen bereits kalte Winde von der kanadischen Küste heran. Dicke Seemannspullover verdrängen die T-Shirts als bevorzugtes Kleidungsstück für Aufenthalte im Freien. Die langen Schlangen der Fremden, die mit ihren Einkaufskörben voller Bier, Sonnencreme und Picknicksachen die Kassen im Supermarkt belegen, sind nur noch eine ferne Erinnerung. Und vor dem Krabb’s, dem einzigen Restaurant in der Stadt, das das ganze Jahr über geöffnet bleibt, gibt es wieder genug freie Parkplätze.
    Noch eine Woche, und die letzten Segelboote in Maurys Jachthafen sind an Land gehievt, ihr Rumpf abgekratzt und für das nächste Jahr gestrichen worden. Die herrlichen alten Ahornbäume auf dem Platz beginnen bereits, ihr buntes Herbstlaub abzuwerfen. Und ehe der Monat ganz vorüber ist, wird Freedman’s Cove, Rhode Island, wieder zu einem Ort, an dem man ganz wunderbar mit seinen Gedanken allein sein kann.
    Mein Entschluss, aus Manhattan in diesen seltsamen kleinen Ferienort zu fliehen, war kein Zufall gewesen.
Aber er hatte auch nichts mit irgendwelchen Hochglanzbroschüren eines Manhattaner Reisebüros über malerische kleine Orte in Neu-England zu tun.
    Freedman’s Cove war einfach das Naheliegendste, etwas, wofür ich meinen Kopf nicht anzustrengen brauchte, wenn Sie so wollen. Denn meine Großtante Ellen hatte die meiste Zeit ihres langen Lebens in einem der berühmten viktorianischen Häuser der Stadt verbracht. Zwar war Bobby einmal mit mir dort gewesen, aber wir hatten nur einen Teil eines sehr kurzen und unglücklich verlaufenen Wochenendes dort verbracht.

4. Kapitel
    Unser Ausflug nach Freedman’s Cove vor drei Jahren hätte eigentlich ein fröhlicher Ausflug werden sollen. Ellen war die Tante meines Vaters, also meine Großtante. Aber für ein kleines Kind ist »Großtante Ellen« schwer auszusprechen, und daher war sie für den Rest meines Lebens einfach Tante Ellen geblieben. Ich hatte jeden Sommer meiner Kindheit in ihrem großen, gelb und grün angestrichenen viktorianischen Haus am Meer verbracht. Daher barg der alte Kasten für mich viele glückliche Erinnerungen; Erinnerungen, die ich mit Bobby teilen wollte.
    Aber als wir sie an diesem Wochenende im Frühling besuchten, machte Tante Ellen, damals schon hoch in den Achtzigern, nicht den geringsten Versuch zu verbergen, dass sie meinen schneidigen jungen Piloten auf den ersten Blick verabscheute.
    Bobby und ich waren Freitagabend spät angekommen. Und die alte Dame hatte ihm von dem Moment an, in dem wir durch die Tür traten, eine unverhohlen mürrische Feindseligkeit entgegengebracht. Zu seiner Ehre war Bobby freundlich und verständnisvoll mit der unerwartet peinlichen Lage umgegangen - was weit mehr war, als ich von meinem eigenen Benehmen an diesem Wochenende behaupten kann.
    Noch heute kann ich mich eines Lächelns nicht erwehren,
wenn ich an das galante Augenzwinkern denke, mit dem er mich bedachte, als Tante Ellen, die ohne Schuhe nur knapp über einen Meter fünfzig maß und die das lange weiße Haar zu einem riesigen, unordentlichen Zopf geflochten und auf ihrem Kopf aufgetürmt hatte, unvermittelt erklärte, sie habe Bobby ein hübsches Gästebett auf der Sonnenveranda hinter dem Haus hergerichtet.
    Ich war natürlich verlegen … und wütend.
    Denn die gewiefte Tante Ellen wusste ganz genau, dass Bobby und ich seit über einem halben Jahr zusammenlebten, und hatte in ihren häufigen Briefen an mich niemals ein Wort des Missfallens geäußert. Aber an diesem Abend schien sie ganz versessen darauf zu sein, die Illusion meiner Keuschheit zu wahren, indem sie Bobby und mir Schlafplätze zuwies, die nicht weiter voneinander hätten entfernt sein können.
    Ich war sprachlos.
    Während der ganzen langen Herfahrt von New york hatte ich ihm mein gutes altes Tantchen und ihr wunderbares Haus in allen liebevollen Einzelheiten beschrieben. Und
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