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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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besonders hatte ich von dem Zimmer geschwärmt, das seit Ewigkeiten mir gehörte, dem herrlichen Turmzimmer mit seinem Meerblick.
    Ich hatte kein einziges Detail dieses wunderbaren Raums mit seiner atemberaubenden Aussicht auf die felsige Maidenstone-Insel, den malerischen Leuchtturm und den Atlantik ausgelassen: von dem prachtvollen Waschtisch aus italienischem Marmor mit seiner Schüssel und der Wasserkanne aus bemaltem Porzellan bis zu den zarten Spitzengardinen, die in milden Sommernächten in der Brise, die von der Bucht heranwehte, wie Schmetterlingsflügel schlugen.

    Gedankenlos, wie ich inzwischen ganz offen zugebe, war ich davon ausgegangen, dass Bobby und ich zusammen in diesem wunderschönen Zimmer nächtigen würden, wo ich mich im flackernden Schein einer winzigen gläsernen Fairy-Lampe Tausenden von Jungmädchenträumen hingegeben hatte.
    Es war also ganz und gar meine Schuld, dass ich nicht daran gedacht hatte, Tante Ellens viktorianische Empfindsamkeiten bezüglich des Beischlafs unter unverheirateten Paaren zu berücksichtigen. Und meine Verlegenheit angesichts ihres unhöflichen und taktlosen Verhaltens an diesem Freitagabend ließ mich an die Decke gehen.
    Glücklicherweise hatte Bobby meine blitzenden Augen gesehen. Ehe ich den Mund öffnen konnte, um Einwände zu erheben, gähnte er schon theatralisch und erklärte Tante Ellen, dass er sich nach der langen Herfahrt von Manhattan geradezu verzweifelt nach einem kleinen Nickerchen sehne, und schmückte seine dicke Lüge aus - denn er hatte die vorangegangene Stunde im Auto damit verbracht, in lüsternen Einzelheiten all die verrückten und verdorbenen Dinge zu beschreiben, die er mit mir anstellen wollte, sobald wir allein waren -, indem er versicherte, wie gern er an der frischen Luft schlafe.
    Großtante Ellen hatte nur argwöhnisch etwas gebrummt und meinen armen, benachteiligten Liebhaber durch die Küche zu seinem buckligen Lager auf der Sonnenveranda geführt.
    Ich bin sicher, sie hätte auf der Stelle einen Herzanfall bekommen, wenn sie gewusst hätte, was passierte, nachdem sie an diesem Abend nach oben in ihr einsames,
altjüngferliches Bett gehumpelt war. Denn weniger als eine Stunde später, als mir ihr dröhnendes Schnarchen verriet, dass sie in tiefem Schlaf lag, schlich ich mich aus meinem jungfräulichen Bett zu Bobby auf die Sonnenveranda.
    Am Ende des langgestreckten Gartens liegt ein kleines, geschwungenes Stück Sandstrand, das durch eine dicke Hecke aus Wildrosen und Oleander nicht einsehbar ist. Ich nahm meinen lächelnden Liebsten bei der Hand und führte ihn kühn zum Wasser. Und dort unter dem Sternenhimmel, an genau der Stelle, an der ich einst komplizierte Feenschlösser aus Sand erbaut hatte, zogen wir uns aus und liebten uns bis zum Morgengrauen. Kichernd wie unartige Kinder - und dass wir das waren, wusste Tante Ellen offensichtlich - waren wir dann zurück zum Haus und jeder in sein Bett geschlichen.
    Natürlich gestaltete sich das geplante Wochenende in Freedman’s Cove für uns alle ziemlich schwierig. Letztlich hatte Bobby sich kaum im Haus aufgehalten. Am Samstag frühstückten wir spät. Unmittelbar danach hatte er angeboten, einen langen Spaziergang zu machen und über den steinernen Damm zum Leuchtturm auf Maidenstone Island zu gehen, damit Tante Ellen und ich in Ruhe plaudern konnten.
    Nachdem wir schweigend das Frühstücksgeschirr abgeräumt hatten, tranken die alte Dame und ich in ihrem klaustrophobisch engen vorderen Salon mit seinen trübsinnigen weinroten Vorhängen, dem schweren, mit Klauenfüßen bewehrten Mobiliar und den welken Gummibäumen Kräutertee aus dem massiven silbernen Teeservice von Shreve & Co.

    Wie Tante Ellen es bei solchen Gelegenheiten erwartete, schützte ich artig Interesse vor, während ich im schwachen Schein einer wertvollen Tiffany-Lampe ihre Alben mit den verblassten Fotos lange verstorbener Vorfahren betrachtete und mir zum hundertsten Mal ihre weitschweifigen Erläuterungen darüber anhörte, wer wen geheiratet hatte, wie deren Kinder und Enkelkinder hießen, wie sie untereinander verwandt waren und was aus ihnen geworden war.
    Dann, nach einer Weile, passierte etwas Ungewöhnliches. Tante Ellen hatte beiläufig das Foto einer hübschen, dunkelhaarigen jungen Frau in einem hochgeschlossenen Kleid aus der Zeit der Jahrhundertwende aufgeblättert. Mein Ärger verflog für kurze Zeit, und ich nahm das Foto in die Hand, machte eine Bemerkung darüber, wie hübsch das Mädchen
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