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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hatte.
    Nervös knetete sie ihre knorrigen alten Hände und überwand im letzten Moment sogar ihren hartnäckigen neuenglischen Stolz, um uns zu bitten, doch wenigstens noch zum Essen zu bleiben.
    Sie stand immer noch da in der kalten Nachmittagsbrise, als wir davonfuhren; ein winziges, gebeugtes Relikt eines lange vergangenen Zeitalters, in dem man die Weisheit der Alten noch geachtet und ihnen erlaubt, ja sie sogar ermuntert hatte, ihren törichten Abkömmlingen Gardinenpredigten zu halten, wann und wie sie wollten.
    »Bist du sicher, dass du nicht umdrehen und dem alten Mädchen noch eine Chance geben willst?« Bobby sah mich aufrichtig besorgt an, während wir langsam die bezaubernde, von Sonnenflecken überzogene Straße entlangfuhren.
    Ich drehte mich um und sah zurück zu der zerbrechlichen, weißhaarigen Gestalt, die da winzig und allein auf ihrer großen, altmodischen Veranda stand. Ich spürte, wie mir heiße Tränen der Frustration und der Wut in die Kehle stiegen, während ich den Kopf schüttelte und tief unten in meiner Handtasche nach einer zerdrückten Zigarette kramte, obwohl ich schon vor Monaten mit
dem Rauchen aufgehört hatte. »Ach, zum Teufel mit ihr«, schluchzte ich und drückte den Zigarettenanzünder auf dem Armaturenbrett. »Fahr einfach.«
    Es war das letzte Mal gewesen, dass ich Tante Ellen lebend sah.
     
    Ein paar Wochen später rief mich der Dorfpolizist an und teilte mir mit, meine Tante habe einen schweren Schlaganfall erlitten und sei im Schlaf gestorben. Ihre Putzfrau hatte sie tot in ihrem riesigen Himmelbett aufgefunden.
    Als die Nachricht kam, befand sich Bobby gerade irgendwo weit draußen in der Nordsee, auf einem mysteriösen, monatelangen Auftrag für die Ölgesellschaft. Und so fuhr ich, überwältigt von Gewissensbissen wegen der scheußlichen Art, wie Tante Ellen und ich auseinandergegangen waren, allein nach Freedman’s Cove und traf die Vorkehrungen für ihre Beerdigung.
    Zu der bedrückenden Trauerfeier kamen außer mir nur die Putzfrau, ein paar andere alte Leute, die ich nicht kannte, und der ältliche Anwalt meiner Tante. Nach der Beisetzung auf dem kleinen Friedhof hinter der nüchternen, weißgetünchten Unitarischen Kirche nahm mich der Anwalt beiseite und teilte mir mit, meine Tante Ellen habe mir ihren gesamten Besitz hinterlassen, der im Wesentlichen aus dem Haus und allem, was darin war, bestand.
    Ich fühlte mich scheußlich, denn trotz unserer letzten, hässlichen Konfrontation war Tante Ellen den Großteil meines Lebens wie eine Mutter für mich gewesen. Daher rief ich Damon an und bat ihn, herzukommen und mir beizustehen, solange ich mit dem Haus zu tun
hatte. Und obwohl mein lieber Partner das Fliegen hasst, hatte er tapfer den ersten Inlandsflug nach Newport genommen.
    Erstaunlicherweise eilte auch Tom Barnwell, der jungenhafte Immobilienmakler, den ich vor allem angerufen hatte, weil wir während eines atemlosen, hormongeladenen Sommers direkt nach der Highschool miteinander »gegangen« waren, sofort zu meiner Hilfe herbei. Am nächsten Morgen stand er in einem neuen BMW-Cabrio in aller Frühe vor dem Haus und sah in verwaschenen Jeans und Pullover besser aus, als er es verdient hatte.
    Tom ging zusammen mit Damon und mir durch die vollgestopften Räume und schlug mir vor, den alten Kasten hell und freundlich zu renovieren, egal, ob ich ihn nun verkaufen oder als Ferienhaus vermieten wolle: Tante Ellens Haus mit seinem abgeschiedenen Privatstrand und seinem spektakulären Meerblick war eines der letzten viktorianischen Häuser von Freedman’s Cove, die noch nicht in Ferienhäuser verwandelt worden waren. Und Tom meinte, es ließe sich zu einem hübschen Preis an Urlaubsgäste vermieten.
    Später, als wir in einer Fensternische bei Krabb’s zusammen zu Mittag aßen, hatte Tom angeboten, zuverlässige Handwerker für die notwendigen Arbeiten aufzutreiben, und mir versichert, sich nach meiner Rückkehr nach New york persönlich um das Haus zu kümmern.
    Zunächst war ich verblüfft gewesen über die außerordentliche Aufmerksamkeit, mit der Tom Barnwell mich als potenzielle Kundin überhäufte. Dann entschuldigte sich Damon und ging auf die Toilette, und mit einem Mal wurde klar, was meinen alten Verehrer antrieb.

    »Ich habe nie die Nacht vergessen, die wir auf Dads Boot verbracht haben, Sue«, sagte er mit heiserer Stimme.
    Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss, während er sich plötzlich über den Tisch beugte und meine Hand
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