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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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einem Messer schwingenden Irren verfolgt wurde, aber ich hatte in meinem Leben genug ferngesehen, um zu wissen, dass das die Sache wahrscheinlich nur verkomplizieren würde.
    Schließlich hatte ich nicht die Polizei am Apparat und wollte keine Zeit vergeuden. Ich wollte nur gerettet werden - je schneller, desto besser -, und ich wusste, dass die Küstenwache dazu in der Lage war. »Ich bin allein, verletzt und blute stark, und der Fahrdamm zum Festland ist unpassierbar.«
    Gott sei Dank reichte das Kowalski. »Ja, Ma’am«, sagte er. »Bleiben Sie einen Moment dran.« Ich hörte, wie er erregt mit jemandem sprach, dann kam er wieder ans Telefon. »Ein Rettungshubschrauber mit einem Sanitäter kommt von der Marinebasis in Quonset Point. Er wird in drei Minuten abheben und müsste innerhalb einer Viertelstunde bei Ihnen sein. Halten Sie so lange durch?«
    Mein Kopf fühlte sich seltsam leicht an, und ich lächelte benommen. »Oh ja, Kowalski.« Ich kicherte. »Ich kann noch eine Viertelstunde durchhalten, sogar zwanzig Minuten, wenn es sein muss. Ich bin eine geborene Durchhalterin.«
    »Ma’am?« Die Stimme des jungen Manns von der Küstenwache schien aus weiter Ferne zu mir zu dringen. Stirnrunzelnd drückte ich den Hörer fester ans Ohr. »Ma’am«, meinte Kowalski besorgt, »haben Sie die Wunde auch abgedrückt?«

    »Abgedrückt?« »Ja, Ma’am. Wenn Sie direkt auf die Stelle drücken, von der das Blut kommt, wird sich die Blutung verlangsamen … Vielleicht haben Sie bereits eine Menge Blut verloren«, setzte er diplomatisch hinzu, »denn Sie klingen sehr schwach …«
    »Mmmm«, brummte ich, und mein Kopf sackte nach vorn. »Im Moment fühle ich mich wirklich sehr schwach. Danke, Kowalski. Ich versuche das mit dem Abdrücken.«
    Vorsichtig balancierte ich den Telefonhörer, der unglaublich schwer zu sein schien, in der Hand und legte ihn zurück auf die Gabel. Dann hievte ich meinen verletzten Arm auf die Schreibtischplatte, starrte auf die blutige Masse aus Nylon und zerfetztem Isoliermaterial und versuchte mich zu erinnern, was ich tun sollte.
    Das schwarze Notruftelefon klingelte.
    Ich starrte es an und fragte mich, wer in aller Welt mich um diese Nachtzeit hier anrufen würde, und das ausgerechnet jetzt, da mir das Atmen so schwerfiel.
    Wieder läutete das Telefon.
    Langsam hob ich meine bleischwere Hand, um nach dem Hörer zu greifen.
    Ich sah, wie meine Hand in der Luft hängen blieb, und dann begann sich der ganze Raum langsam im selben Takt wie der Strahl des Leuchtturms zu drehen.
    Immer wieder läutete das Telefon. Nach Luft ringend, schob ich meine Hand weiter vorwärts.
    »Geh nicht ran, Sue.«
    Ich sah auf und erblickte Bobby, der mit totenbleichem Gesicht über mir hing.
    »Kowalski ist unterwegs … er kommt mich holen …
mit seinem Hubschrauber«, keuchte ich. Jetzt hatte ich keine Angst mehr.
    Hustend nickte Bobby. »Ja, ich weiß«, sagte er. »Ich habe gehört, wie du mit ihm geredet hast.« Dann trat er aus meinem Blickfeld.
    Ich runzelte die Stirn und versuchte mich an etwas zu erinnern, das ich über Bobby wusste, etwas sehr Wichtiges. Aber es fiel mir schwer, zu schwer, denn ich durfte auch das Atmen nicht vergessen. Ich seufzte tief und sah stattdessen auf meinen blutüberströmten Arm hinunter. »Gott … das tut wirklich … weh«, stöhnte ich und schaute mich nach Bobby um.
    Ich sah ihn an einer kleinen Tür mit einem Metallrahmen stehen, die zwischen zwei großen, regennassen Scheiben eingelassen war. Er öffnete die Tür, und ein eisiger Windstoß donnerte in den kleinen Raum. Kurz steckte er den Kopf nach draußen und winkte mich dann zu sich.
    »Was?«, fragte ich. Bobbys Lippen bildeten Worte, die ich bei dem heulenden Wind nicht verstehen konnte. Er ließ die Tür offen, kam zu mir und bückte sich, um mir etwas ins Ohr zu schreien.
    »Der Hubschrauber ist da, Sue. Komm!«
    Lächelnd versuchte ich aufzustehen, aber meine Beine gehorchten nicht und schienen merkwürdigerweise gar nicht mehr mit meinem Körper verbunden zu sein. Zuvorkommend legte Bobby eine Hand unter meinen Ellbogen und zog mich auf die Füße. Dann legte er den Arm um meine Taille und zog mich langsam zur Tür.
    Ich blinzelte auf den schmalen Steg und in die winddurchtoste Leere hinaus. »Nein!«, flüsterte ich und versuchte zurückzuweichen. »Ich habe Angst.«

    Wortlos schob mich Bobby durch die Tür und ließ mich gleichzeitig los. Ich stolperte voran und fiel an dem schmalen Geländer auf die Knie.
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