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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Autoren: H kan Nesser
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einem Gefühl des Schreckens musste er sich eingestehen,
dass er mehr als neun Stunden am Stück geschlafen hatte. Er war am vergangenen Abend kurz nach halb eins unter die Decken gekrochen, und er konnte sich nicht daran erinnern, noch lange wach gelegen zu haben. Auch die Nacht über hatte es keine schlaflosen Abschnitte gegeben.
    Er hatte also neun Stunden hier gelegen. Und zu welchem Nutzen? Wäre er überhaupt aufgewacht, wenn sie sich die Treppe hinaufgeschlichen hätte?
    Er drehte sich auf die Seite und schob das Fenster sperrangelweit auf. Die Sonne schien draußen mit aller Kraft. Kleine Vögel wirbelten im Gestrüpp hinter der Küchentür. Der Himmel war blau mit dünnen, dahinsegelnden Wattebäuschen.
    Frühling?, dachte er. Was, zum Teufel, mache ich hier?
    Er erinnerte sich an den gestrigen Abend. Bis elf Uhr hatte er im Wirtshaus gesessen und danach auf seinem Heimweg alle Vorsicht außer Acht gelassen. Er war einfach aufgestanden und gegangen. Die Dorfstraße entlang, vorbei am Bethaus, an Heines, Van Klausters und dann den schmalen Seitenpfad zu seinem Haus.
    Die ganze Zeit zwar mit der entsicherten Pistole in der Hand, das war klar, aber trotzdem.
    Eine Weile hatte er sogar überlegt, ob er sich nicht lieber ins Bett legen sollte, aber irgendetwas hatte ihn davon abgehalten. Das ging jetzt schon seit einer Woche so. Genau genommen seit acht Tagen, und während er in der Küche Kaffee kochte und sich Brote schmierte, beschloss er, dass es jetzt genug sein müsste. Das sollte der letzte Tag werden, der heutige. Er musste endlich den Tatsachen ins Gesicht sehen und begreifen, dass sein ganzes Vorhaben nichts brachte. Es war fruchtlos. Es wurde nicht mit dem geringsten Erfolg gekrönt, so war es nun einmal. Eigentlich hätte er gleich aufbrechen können, schon jetzt am Vormittag, aber Korhonen hatte versprochen, heute Abend ein paar Fotos von seiner neuen thailändischen Frau mitzubringen, und deshalb hatte Biedersen versprochen, auch heute Abend zu kommen.

    Aber wie gesagt, danach reichte es. Die Einsicht, dass es ein Fehler gewesen war, sich hierher zu begeben, war in ihm im Laufe der Zeit gewachsen – die Einsicht, dass es nutzlos war und dass sie ihm nicht auf dieser Bühne begegnen würde.
    Das Gespräch mit seiner Ehefrau vor vier Tagen – in dem sie eine Frau erwähnte, die ihn von Kopenhagen aus sprechen wollte – war natürlich ein Zeichen und eine Bestätigung gewesen, aber nicht dafür, dass sie hier auftauchen wollte. Ganz und gar nicht. Nur dafür, dass sie existierte.
    Das musste sie gewesen sein – das war ihm sofort klar gewesen  –, er hatte in Kopenhagen keine weiblichen Geschäftsfreunde, und männliche auch nicht. Aber dieses Warten … diese Tage, die verstrichen, ohne dass etwas passierte; er konnte es nicht anders deuten als ein Beweis dafür, dass sie seine Einladung nicht akzeptierte. Sie weigerte sich, ihn unter seinen Bedingungen zu treffen.
    Feige Hündin, dachte er. Verfluchte Mörderhure, ich werde dich auf jeden Fall besiegen!
    Dennoch ließ er seine Sicherheitsmaßnahmen auch an diesem letzten Tag nicht außer Acht. Trotz der Einsicht, dass seine Berechnungen nicht stimmten, verbrachte er die üblichen Stunden im Wald. Aß und begann zu packen, nachdem die Dämmerung eingesetzt hatte, und begriff, wie wichtig es war, dass er nicht übermütig wurde. Die gleiche Wachsamkeit. Die Waffe lag die ganze Zeit griffbereit da. Er hielt sich versteckt.
    Nur noch eine Nacht. Eine letzte.
    Nach welchen Regeln er sich in Zukunft verhalten sollte, darüber dachte er im Augenblick noch nicht nach. Dazu war er nach dieser sinnlosen Anspannung nicht mehr in der Lage. Morgen würde er von hier wegfahren.
    Morgen würde er dann auch neue Beschlüsse fassen.
    Nach den Achtzehnuhr-Nachrichten im Radio schlich er sich in die Dunkelheit. Wie immer horchte er auf der Treppe mit der Pistole in der Hand, bevor er sich seinen Weg ins
Dorf, zum Wirtshaus bahnte. Die Luft erschien immer noch mild, und er spürte, dass der Frühling, der ihn am Morgen geweckt hatte, beschlossen hatte zu bleiben. Zumindest für ein paar Tage.
     
    »Sollten wir nicht die Polizei in Saaren informieren?«, fragte Reinhart, nachdem sie vierzig Kilometer gefahren waren und sein Chef kein Wort von sich gegeben hatte.
    »Hast du vergessen, wer dort Polizeichef ist?«, entgegnete Van Veeteren.
    »Natürlich nicht. Mergens. Nein, es ist sicher am besten, ihn da rauszuhalten.«
    Van Veeteren nickte und zündete sich
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