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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank
Autoren: Gunnar Staalesen
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gleich über der Tür, die links hinaus führte, zeigte die Zeit mit sechs Ziffern an, wobei die Hundertstel davonliefen wie Sand zwischen den Fingern. Sie ließ mich auf unangenehme Weise spüren, wie schnell die Zeit verrinnt, während man an ganz anderen Orten sein und ganz andere Dinge tun sollte. Exakt um 13.39.39 Uhr hob der junge Mann den Telefonhörer ab, wählte eine Nummer und sprach leise in die Muschel. Dann legte er auf und sagte zu mir: »Sie können hineingehen.«
    Ich ging hinein. Frau Andersen saß hinter ihrem großen Schreibtisch mit dem Rücken zu der flachen Landschaft dahinter, die Hände fein nebeneinander auf der Schreibtischplatte. Sie trug einen großen, glitzernden Ring an der einen Hand. Der Stein war grünlich und paßte zu ihren Augen. Die dicken Brillengläser vergrößerten ihre Augen und waren das einzige an ihr, was unbeholfen wirken konnte. Ansonsten machte sie den Eindruck, als sei sie so effektiv wie ein Computer und ebenso stromlinienförmig wie alles, was sie umgab.
    Sie erhob sich hinter dem Schreibtisch, und wir gaben einander die Hand. Ihre Hand war schmal, kühl und wohlmanikürt. Sie trug ein einfaches, leinenfarbenes Kleid, das sich den Linien ihres Körpers mit diskreter Eleganz anpaßte. Die Brillengläser waren randlos, und es war ein Rotton in den oberen Hälften, das Gestell war golden. Auch in ihrem Haar war Rot – und Schwarz. Es war im Nacken festgesteckt und über den Ohren straff zurückgekämmt. Das Gesicht wurde dominiert von der Brille. Die Nase war gerade, der Mund füllig und hatte das gleiche Rot wie die Brillengläser. Ich schätzte sie auf um die Fünfzig, aber gut in Form.
    Wir setzten uns, und sie kam direkt zur Sache. Sie stützte die Ellenbogen vor sich auf den Tisch, setzte die Fingerspitzen gegeneinander und sagte: »Und Sie wünschen – Informationen? Über einen unserer Angestellten?« Sie sprach ein fehlerfreies Norwegisch, ohne die Spur eines Dialekts. »Wen vertreten Sie, und worum geht es in dieser Angelegenheit?«
    »Ich vertrete die Familie, oder genauer gesagt, seine Mutter. Und es dreht sich eigentlich um nichts weiter als darum, daß wir ihn nicht finden können.«
    Sie lächelte unvermittelt und herablassend. »Kein besonders außergewöhnliches Problem für unsere Abteilung. Es pflegt sich von selbst zu lösen. Er wird schon auftauchen.«
    »Aber seine Mutter …«
    »Unsere Erfahrung zeigt, daß neunundneunzig von hundert wieder auftauchen, wenn es Zeit ist, auf die Plattform zu kommen. Der eine von hundert …« Sie zuckte mit den Schultern. »Also, mit ihm haben wir nichts mehr zu tun, um es einfach auszudrücken.«
    »Also es kümmert euch nicht?«
    »Nein«, sagte sie leichthin.
    »Aber – ein paar Informationen habt ihr vielleicht trotzdem?«
    »Sind Sie nun ein Freund der Familie, Veum, oder …« Sie sah mich forschend an.
    »Ich bin Privatdetektiv.«
    Sie machte einen kurzen, schnalzenden Laut mit der Zunge. »Soso. Einer der wenigen. Es gibt nicht viele von euch hier in der Gegend, was?«
    »Da, wo du herkommst, gibt es mehr, oder?«
    Sie sagte kühl: »Ich bin Norwegerin, Veum. Ich habe tatsächlich ein paar Jahre in den Staaten gelebt, und in unserer Branche … Tja, ich bin schon ein paar von der Sorte begegnet. Ihr habt nicht viel Charme.«
    »Nein, das ist auch nicht unser Job.«
    Sie stand hinter dem Schreibtisch auf. »Aber um zu zeigen, welchen Service wir für unsere Mitarbeiter leisten – und für ihre Familien. Für Informationen der Art, wie sie Sie eventuell interessieren könnten, ist unsere Sicherheitsabteilung zuständig. Ich werde …« Sie wählte eine Nummer und sprach in die Muschel. »Sei so gut und bitte Jonsson, hereinzukommen, Schatz.« Sie machte sich die Mühe, den Namen für mich zu buchstabieren, und fügte hinzu: »Auch er ist sich seiner norwegischen Abstammung sehr bewußt, und er wäre beleidigt, wenn man ihn für einen ganz gewöhnlichen Johnson hielte.« Zum ersten Mal lächelte sie richtig und entblößte eine allem Anschein nach fehlerfreie Reihe perlweißer Zähne. Kurz darauf ging die Tür auf, und ein Mann kam herein.
    Es war ein kräftig gebauter Mann in den Fünfzigern, mit einem vitalen Äußeren und kurzgeschnittenem, graumeliertem Haar. Er war gut und gern einsachtzig groß und etwas füllig um die Taille, wie es Amerikaner nach einigen Jahren zu sein pflegen, weil sie an allzu vielen Scheidewegen lieber das Auto benutzen, als zu Fuß zu gehen. Er trug ein schwarz-grau kariertes
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