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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid
Autoren: Beryl Bainbridge
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Ernstes behauptet hatte, sein Vater sei ein so fanatischer Fotograf gewesen, dass er erst mal ein Foto gemacht habe, als Bloomfield in ein Schwimmbecken gefallen sei, und auch als er beim Autofahrenlernen gegen eine Wand geknallt sei.
    Rose sagte: »Meine Mutter stand an einem Fenster an der Rückseite des Hauses und schrie.«
    Nur Shaefer hatte Bloomfield nicht für einen Fantasten gehalten. Er war überzeugt, in Bloomfields Augen etwas gesehen zu haben, das an Wahrheit grenzte.
    »Ich hab mich in den Sträuchern versteckt«, sagte Rose, »und hörte, wie die Kugeln das Gras zerfetzten.«
    Niemand hatte Shaefer geglaubt, bis Bloomfield an Thanksgiving heimfuhr und seine Eltern erschoss, als sie gerade den Truthahn tranchierten.
    »Kein Wunder, dass Mr Kennedy ermordet wurde«, sagte Rose. »Oder dieser Luther King.«
    »Heute Abend essen wir bei einem Freund«, sagte Harold, »der sich an dem Tag, als Dr. King erschossen wurde, im selben Hotel aufhielt.«

    »Mannomann.«
    Er fragte, ob sie Hunger habe; ihm knurre schon der Magen. Sie entgegnete, sie mache sich nichts aus Essen. »Wir essen alle viel zu viel«, sagte sie. »Das ist schlecht fürs Gehirn.« Sie saß zusammengesackt neben ihm, die nackten Füße mit den Schmutzrändern unter den Zehennägeln gegen das Armaturenbrett gestemmt, und lutschte am Daumen.
    Sie war keine unkomplizierte Begleiterin, so viel war klar. Er machte das Radio an, um das Schweigen zu übertönen. Irgendwer krächzte einen Jazzsong … Here’s a photo of me when I was three … And here’s my pony too. Here’s a picnic we had. And Jane with dad … Here’s me in love with you. Verlegen wegen dieser Gefühlsäußerungen griff er nach dem Knopf, um einen anderen Sender zu suchen.
    »Lass es, das ist doch schön«, rief sie und schob mit dem Fuß seine Hand weg.
    Er fragte sich, ob Bloomfield wohl auf den Gedanken gekommen war, ein Foto von seinen auf dem Thanksgivingtisch hingestreckten Eltern zu machen.
    »Das Wort Fotografie kommt aus dem Griechischen«, sagte er. »Es bedeutet Lichtzeichnung.«
    Rose antwortete nicht.
    Here’s our house in Maine … and me again … that’s me in love with you, heulte die Stimme.
    Zwei Querstraßen vor dem Freeway musste der Campingbus anhalten. Eine ältere Frau, die mit ihren schwarzen Fäusten in die Luft boxte, wurde in einen
Streifenwagen bugsiert. Er kurbelte das Fenster hoch, um die gellenden Schreie aus ihrem Mund zum Verstummen zu bringen.
    Es dauerte mehr als drei Stunden, bis sie den Stadtrand von Washington erreichten. Da er ohne seine Frühstückseier losgefahren war, brauchte er etwas zu essen. Er hielt bei einem Diner am Straßenrand in der Nähe von Gaithersburg und fragte Rose, ob sie mitkommen wolle, aber sie lehnte ab.
    Als er sich wieder hinters Lenkrad setzte, merkte er, dass sie geraucht hatte; er öffnete das Fenster nicht, weil er den Tabakduft mochte.
    Die meiste Zeit schien Rose zu dösen, erst als sie einen Wegweiser nach Bethesda passierten, setzte sie sich auf und stellte, durchaus lebhaft, fest, dass sie sich an diesen Namen aus dem Religionsunterricht erinnere. Es verblüffte ihn, wie oft sie ihre Kindheit erwähnte. Es wurde ihm klar, dass sie einander ähnelten; die Vergangenheit hatte die Gegenwart ausgelöscht.
    Vor dem Einfamilienhaus der Stanfords zog sich ein von Kirschbäumen gesäumter Weg zur Eingangsveranda hinauf. Rose stieg nicht sofort aus; wieder fummelte sie an ihrer Lippe herum.
    Er sagte: »Es hat einmal einen berühmten Architekten mit dem Namen Stanford gegeben. Er hat den Madison Square Garden entworfen … in New York. Er wurde umgebracht.«
    »Von seiner Frau?«, murmelte sie.

    »Nein«, erwiderte er. »Er war ein Frauenheld und wurde von einem wütenden Ehemann erschossen. Frauen töten nicht.«
    Sie rührte sich immer noch nicht. Endlich öffnete sie die Autotür und verblüffte ihn mit der Frage, ob er mitkomme.
    »Lieber nicht«, sagte er. »Es ist gut, wenn du mit ihm allein bist … erst mal.«
    Er sah zu, wie sie den Weg hinaufging, die Schultern gegen den Regen hochgezogen, und fühlte sich schuldig, weil er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Sobald er sah, dass sie das Haus betreten hatte, fuhr er etwas weiter die Straße hinauf.
    Alles an Rose verwirrte ihn, ihr Verhalten, ihre Herkunft, am allermeisten ihre Verbindung zu Wheeler. Der Anblick des unscharfen Fotos auf ihrem staubigen Nachtkästchen hatte ihn arg mitgenommen. Ihre Geschichte, dass sie ihn vor sechzehn
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